Der Weg zum Kanzleramt führte die Minister des Klimakabinetts am Mittwoch vorbei an Protesten. Greenpeace-Aktivisten hielten den schwarzen Limousinen gelbe Schilder entgegen. Aufschrift: "Die Zeit läuft ab." Vorbei mussten Verkehrsminister Andreas Scheuer und Innenminister Horst Seehofer (beide CSU), Finanzminister Olaf Scholz und Umweltministerin Svenja Schulze (beide SPD) sowie Wirtschaftsminister Peter Altmaier und Agrarministerin Julia Klöckner (beide CDU). Als Schulze später die Runde wieder verließ, konnte sie zwar keine Beschlüsse verkünden, aber immerhin etwas, das sie bislang ganz offenbar in dem hochkarätigen Kreis vermisst hatte: "Ich bin sehr zufrieden, dass wir jetzt in einem Arbeitsmodus sind", sagte Schulze.
Nach der Wahlschlappe vom Sonntag blieb der großen Koalition kaum etwas anderes übrig, als beim Klimaschutz endlich konkreter zu werden. Die Union hatte bei der Wahl 6,5 Prozentpunkte eingebüßt. Die SPD hatte mit 15,8 Prozent historisch schlecht abgeschnitten. Beides hatte heftige Debatten über den eigenen Kurs vor allem in der Klimapolitik ausgelöst. Und so legten die zuständigen Minister am Mittwoch erstmals Vorschläge vor, wie die Regierungsziele für das Jahr 2030 Realität werden sollen.
Keine Auszeiten mehr: In den Sommerferien soll durchgetagt werden
Besonders Verkehrsminister Scheuer (CSU) stand unter Druck. Mit 163 Millionen Tonnen CO₂-Ausstoß pro Jahr gehört der Verkehr noch immer zu den großen Klimasündern in Deutschland. Er trägt maßgeblich dazu bei, dass Deutschland seine Vorgaben aus dem Abkommen von Paris bislang verfehlt. Scheuer schlug am Mittwoch nun eine Liste von mehr als 50 Maßnahmen vor. Dazu gehört, dass Bahntickets im Fernverkehr durch eine Senkung der Mehrwertsteuer von 19 auf 7 Prozent günstiger werden sollen. Der öffentliche Nahverkehr soll ausgebaut, die staatliche Prämie für den Kauf von Elektroautos verlängert und der Bundesanteil erhöht werden. Unklar ist allerdings, ob sich die Autoindustrie weiterhin an der Prämie beteiligt - und damit auch, ob sie insgesamt wirklich steigt. Außerdem will Scheuer stärker als bisher Kraftstoffe einsetzen, die aus Pflanzen und aus Strom gewonnen werden. Ein bei Umweltschützern ebenfalls umstrittenes Vorhaben, weil Biosprit in derart großen Mengen in Europa kaum verfügbar ist.
Auch in anderen Ministerien sind die Listen der Klimaprojekte lang. Agrarministerin Julia Klöckner (CDU), die vor einigen Wochen bereits Vorschläge eingereicht hatte, kündigte am Kabinettstisch an, Lebensmittelabfälle zu verringern, ökologisch bewirtschaftete Flächen auszuweiten, Moorböden besser zu schützen und Wälder nachhaltiger zu bewirtschaften. Innenminister Horst Seehofer, dessen Ministerium auch für das Bauen zuständig ist, will einen Steuerbonus für Hausbesitzer bei energetischen Gebäudesanierungen einführen. Kosten für den Fiskus: eine Milliarde Euro pro Jahr. "Der Austausch alter Heizungen, Fassaden und Dachstühle könnte den CO₂-Ausstoß bei Altgebäuden spürbar verringern", sagte Seehofer. Völlig offen ist bislang allerdings, wie die Vorhaben, die viele Milliarden Euro kosten, finanziert werden sollen - und damit auch, was davon wirklich umgesetzt wird. Eine Grundsatzentscheidung über Gesetze und Maßnahmen solle im September getroffen werden, teilte Regierungssprecher Steffen Seibert am Mittwoch mit. Diese sollen bis zum Jahresende im Kabinett verabschiedet werden. Beim Klimaschutz bleiben damit weiterhin wichtige Fragen offen. So vertagte das Gremium auch eine Entscheidung über die Einführung einer CO₂-Steuer. Sie könnte den Ausstoß des wichtigsten Treibhausgases etwa beim Autofahren oder beim Heizen verteuern und letztlich reduzieren. Umweltministerin Schulze spricht sich für ihre Einführung aus, will aber zugleich einen sozialen Ausgleich schaffen. In der Union gibt es massiven Widerstand dagegen. Der Streit könnte sich in den kommenden Monaten weiter verschärfen. Juso-Chef Kühnert sagte nach dem Kabinettstreffen, das im Koalitionsvertrag vereinbarte Klimaschutzgesetz müsse in diesem Jahr kommen. Wenn nicht, stehe für ihn die große Koalition auf dem Spiel. Die Ziele der Regierung sind ehrgeizig. Bis 2030 will die große Koalition den Anteil der erneuerbaren Energien an der Stromerzeugung auf 65 Prozent gesteigert und den CO₂-Ausstoß um 55 Prozent gegenüber 1990 vermindert haben. Offen ist nach wie vor, ob die am Mittwoch vorgelegten Vorschläge der Ministerin dafür wirklich ausreichen.
Umweltministerin Svenja Schulze kündigte am Mittwoch an, sie werden nun prüfen, ob wirklich schon alle Weichen für die CO₂-Reduktion gestellt seien. "Das werden Themen der nächsten Sitzungen sein. Wir müssen darauf achten, dass wir uns hier kein X für ein U vormachen." Der Arbeitsmodus soll nun weiter gehen. Das Klimakabinett werde sich nun keine Auszeiten mehr nehmen und auch in den parlamentarischen Sommerferien durchtagen.