Die Forderung, grundsätzliche Dinge vom Volk entscheiden zu lassen, gehört zu den Forderungen, die in einer Demokratie grundsätzlich sympathisch sind. Die Argumente, die gegen Plebiszite und Volksabstimmungen angeführt werden, klingen ja oft so, als bestünde das Volk aus Halbidioten, die man vor sich selber schützen müsse.
Weil sich diese skeptische Betrachtung streng genommen auch aufs allgemeine Wahlrecht erstrecken müsste, gestehen die Gegner von Plebiszit und Volksabstimmung dem Volk alle paar Jahre einen lichten Augenblick zu: just dann, wenn es um die Bestätigung der politischen Repräsentanten geht. Aber mehr, so heißt es, soll bitte nicht sein; ein Mehr an Demokratie gefährde die Demokratie. Eine solche Argumentation ist darauf aus, die Angst des Volks vor sich selbst zu wecken; sie kann so nicht richtig sein.
Die Forderung, den Bundespräsidenten künftig nicht von den 1 260 Wahlleuten der Bundesversammlung, sondern vom Volk wählen zu lassen, also von potentiell 62 Millionen Wahlberechtigen, klingt deshalb erst einmal sympathisch. Die Forderung wird in den Umfragen von siebzig Prozent der Bundesbürger geteilt; darin spiegelt sich sowohl die Lust auf mehr Demokratie, die bei Personalia besonders groß ist, als auch Ärger darüber, dass die Kandidaten fürs höchste Staatsamt auf undurchsichtige Weise ausgekungelt werden. Aber die Direktwahl wäre das falsche Mittel, dem Ärger Luft zu geben; dann wären die neuen Probleme größer als die, die man damit abstellen will.
Direktwahl nicht mit dem Grundgesetz vereinbar
Nicht alles was zunächst sympathisch klingt, ist auch richtig. Es ist so: Die Mütter und Väter des Grundgesetzes haben sich gegen ein Präsidenten-Regierungssystem entschieden. Und die Erfahrungen, die man derzeit in der Türkei, in Polen und in anderen Staaten Osteuropas damit macht, sind nicht geeignet, näher an ein solches Regierungssystem heranzurücken. Die Direktwahl des Präsidenten würde die Gewichte im parlamentarischen System ein Stück weit in Richtung auf ein präsidentielles System rücken.
Deutschland hätte dann einen direkt gewählten Präsidenten, der aber nach der Grundgesetz wenig zu sagen hat, weniger als der in Österreich - der aber, weil er nun einmal direkt gewählt wurde, darauf bestehen würde, dass er die Richtlinien der Politik mitbestimmen darf. Die Machtbalance würde schwieriger. Das gilt erst recht dann, wenn man dem Präsidenten neue Kompetenzen gäbe. Welche eigentlich?
Bundespräsident - Wer Gaucks Nachfolger werden könnte
Wird Norbert Lammert der nächste Bundespräsident? Gerda Hasselfeldt? Oder doch Gregor Gysi? Über die Bundespräsidenten-Nachfolge wird viel spekuliert - hier ein paar Ideen.
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Norbert Lammert, Bundestagspräsident
Das spricht dafür: Der CDU-Politiker ist so etwas wie der ewige Bundespräsidenten-Kandidat. Mit präsidialen Aufgaben hat er Erfahrung: Seit elf Jahren ist er Präsident des Deutschen Bundestags.
Das spricht dagegen: Gilt manchen in der Union als eitel. In der SPD ist er zudem nicht sonderlich gut angesehen.
Bild: dpa 6. Juni 2016, 10:20 © SZ.de/bepe/kler/ghe -
Wolfgang Schäuble, Bundesfinanzminister
Das spricht dafür: Auch Schäuble wurde bei vergangenen Wahlen immer wieder genannt. Er gilt als der einzige CDU-Kandidat, der möglicherweise auch Stimmen aus der SPD bekommen könnte.
Das spricht dagegen: Schäuble ist nicht mehr der Jüngste, im September wird er 74. Bei der Wahl 2004 konnte sich Schäuble zudem nicht als Kandidat der Union durchsetzen - auch, weil sich die spätere Bundeskanzlerin Angela Merkel gegen seine Nominierung sträubte.
Bild: AFP 6. Juni 2016, 10:20 © SZ.de/bepe/kler/ghe -
Gerda Hasselfeldt, CSU-Landesgruppenchefin im Bundestag
Das spricht dafür: Hasselfeldt gilt als versöhnliche, uneitle Figur, die zwischen den Unionsparteien vermitteln kann. Die 65-Jährige hat ein gutes Verhältnis zu Merkel. Sie wäre die erste Frau, die das Amt übernimmt.
Das spricht dagegen: Es ist fraglich, ob die CSU-Politikerin in der gesamten Fraktion akzeptiert würde - und erst recht von Delegierten der linken Parteien.
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Gregor Gysi, Ex-Fraktionschef der Linken
Das spricht dafür: Gysi hat das für einen Bundespräsidenten erforderliche Redetalent und ist in der Bevölkerung beliebt.
Das spricht dagegen: Gysi mag die rhetorische Zuspitzung und Provokation. Als Parteimitglied der Linken dürfte es für ihn schwer werden.
Bild: dpa 6. Juni 2016, 10:20 © SZ.de/bepe/kler/ghe -
Ursula von der Leyen, Bundesverteidigungsministerin
Das spricht dafür: Wer Bundesverteidigungsministerin kann, kann auch Bundespräsidentin. Wäre zudem die erste Frau im Amt.
Das spricht dagegen: Galt in der Vergangenheit bereits als aussichtsreiche Kandidatin, am Ende wurde jedoch Christian Wulff nominiert. Sie könnte zudem an Regierungsämtern mehr Gefallen finden.
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Frank-Walter Steinmeier, Außenminister
Das spricht dafür: Steinmeier ist sehr beliebt, kann schlau reden und müsste dann nicht noch einmal Kanzlerkandidat der SPD werden.
Das spricht dagegen: Er muss Kanzlerkandidat der SPD werden, damit es auf keinen Fall Sigmar Gabriel macht.
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Peer Steinbrück, Ex-Kanzlerkandidat der SPD
Das spricht dafür: Wer Kanzlerkandidat kann, kann auch Bundespräsident.
Das spricht dagegen: Kanzlerkandidat konnte er ja gar nicht.
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Navid Kermani, Schriftsteller
Das spricht dafür: Ein Muslim, in Siegen geboren, mit einem deutschen und einem iranischen Pass - denen in der AfD wird die Kinnlade runterklappen. Sein Name wird manchmal genannt, wenn es um einen möglichen Kandidaten der SPD geht.
Das spricht dagegen: Bevor in Deutschland ein Muslim Bundespräsident wird, wird es sicher erst eine Frau. Zudem fehlt Kermani Erfahrung im Politikbetrieb.
Bild: dpa 6. Juni 2016, 10:20 © SZ.de/bepe/kler/ghe -
Sigmar Gabriel, SPD-Chef
Das spricht dafür: Die einzige realistische Aufstiegsoption für ihn.
Das spricht dagegen: Er muss Kanzlerkandidat der SPD werden, damit es auf keinen Fall Frank-Walter Steinmeier macht.
Bild: dpa 6. Juni 2016, 10:20 © SZ.de/bepe/kler/ghe -
Jutta Allmendinger, Soziologin
Das spricht dafür: Die Präsidentin des Wissenschaftszentrums Berlin wird als mögliche SPD-Kandidatin gehandelt, die auch über Parteigrenzen hinweg eine Mehrheit bekommen könnte.
Das spricht dagegen: Sie ist bislang wenig bekannt.
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Winfried Kretschmann, Ministerpräsident von Baden-Württemberg
Was spricht dafür: Kretschmann ist populär. Seine Wahl könnte ein Signal sein für eine engere schwarz-grüne Zusammenarbeit in Berlin.
Was spricht dagegen: Nicht allen in der Union dürfte eine engere Zusammenarbeit mit den Grünen gefallen. Ob SPD und Linke Kretschmann unterstützen würden, ist ebenfalls fraglich.
Bild: dpa 6. Juni 2016, 10:20 © SZ.de/bepe/kler/ghe
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Die deutschen Erfahrungen sind nicht gut: Hindenburg hat mit der Kraft des volksgewählten Reichspräsidenten die Legitimität der Weimarer Republik durch Notverordnungen ausgehöhlt. Die schmalen Kompetenzen des Bundespräsidenten waren die Lehre, die der Parlamentarische Rat 1948/49 daraus zog.
Man wollte dem direkt gewählten Parlament keinen direkt gewählten Bundespräsidenten entgegensetzen. Die Zurückhaltung war so groß, dass überlegt wurde, auf ein Staatsoberhaupt ganz zu verzichten und dessen Funktionen dem Präsidenten des Bundestags oder dem des Bundesverfassungsgerichts zu übertragen - was auch keine ganz schlechte Lösung wäre.
Für mehr Bürgerbeteiligung gibt es wichtigere und bessere Gelegenheiten: Volksentscheide auf Bundesebene. Wer bei dieser Forderung aufschreit, weil er AfD und Co fürchtet, verwechselt Ursache und Wirkung. Das grassierende Gefühl, dass "die da oben eh machen, was sie wollen", ein Gefühl, das zu Politikverdrossenheit und Politikverachtung geführt hat, hätte sich nicht so gefährlich ausgebreitet, wenn es Plebiszite gäbe.