Bundespräsident:Spät erwacht

Frank-Walter Steinmeier mischt sich in den Wahlkampf ein. Das soll der Bundespräsident nicht? Er hätte es viel früher tun sollen!

Von Constanze von Bullion

Er ist aufgewacht, der Bundespräsident. Endlich. Zum Auftakt einer Diskussionsreihe in Schloss Bellevue ist Frank-Walter Steinmeier aus der gewohnten Rolle gefallen und hat sich die Wutbürger im Land vorgeknöpft. Wer Tomaten schmeiße und Politiker niederbrülle, wie es neuerdings bei Wahlkampfauftritten der Bundeskanzlerin üblich ist, mache die offene Debatte kaputt, sagte Steinmeier. Wer zornig sei, müsse mitreden, statt anderen das Wort abzuschneiden. Auch die Trumps und Orbáns bekamen ihr Fett ab, sie gefährdeten Gewaltenteilung und Menschenrechte.

Na also, Steinmeier, geht doch, möchte man da rufen. Nach Monaten ohne eigene Botschaft ist dem Bundespräsidenten der Kragen geplatzt. Gut so. Denn fast schien es schon so, als sei Steinmeier im präsidialen Elfenbeinturm weggedämmert, während rechte Brülltrupps vor der Tür die politische Debatte aufmischen.

Wer jetzt einwendet, der Herzens-Sozi Steinmeier dürfe sich als Bundespräsident doch nicht in den Wahlkampf einmischen, geht in die Irre. Wofür hat Deutschland ein Staatsoberhaupt, wenn es zu nationalistischem Krawall und Nazi-Nostalgie schweigt? Steinmeier hätte sich viel eher aus der Deckung diplomatischer Wurschtelsätze wagen sollen. Die Demokratieverächter nämlich, die am Sonntag wählen gehen, dürfte der Bundespräsident jetzt nicht mehr umstimmen. Dafür kommt sein Widerspruch zu spät.

© SZ vom 20.09.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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