Bundespräsident:Habe die Ehre

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Bitte alle nach rechts schauen: (v. l.) Frank-Walter Steinmeier, Horst Seehofer, Elke Büdenbender und Karin Seehofer vor der Münchner Staatskanzlei. (Foto: Sven Simon)

Bayern ist die erste Station der "Demokratiereise" von Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier durch Deutschland. Gastgeber Horst Seehofer versucht sich zwischen Gamsbärten und Blasmusik als Übersetzer.

Von Constanze von Bullion, München

Es wird ein Besuch der eher nachdenklichen Töne, und auf der Suche nach demokratischem Aufbruch wird es der Alte sein, der die Jungen daran erinnert, die Aufmüpfigkeit bloß nicht verkümmern zu lassen.

Mittwochmorgen vor der bayerischen Staatskanzlei, eine Blaskapelle spielt vor kriegsversehrten Riesensäulen, der frisch gewählte Bundespräsident ist zum Antrittsbesuch nach München gekommen. Zwei Tage lang will Frank-Walter Steinmeier sich Bayern vorführen lassen, mit Schülern und Studenten diskutieren, sich vor der Forschung im Freistaat verneigen und nach Herrenchiemsee übersetzen, zu einem Geburtsort des Grundgesetzes.

Bayern, das ist die erste Station von Steinmeiers "Demokratiereise" durch Deutschland, bei der er mit seiner Frau Elke Büdenbender die "Stimmen unserer Demokratie hören" will. Die Stimmen von Gemeinderäten sind da gemeint, von ehrenamtlichen Helfern, Betriebsräten und anderen Aktiven der Bürgergesellschaft. Insbesondere sollen die Unzufriedenen gehört werden, hieß es. Als erstes Ziel hat Steinmeier dann aber nicht etwa Sachsen ausgesucht, sondern das Bundesland, das sich bei Wohlstand wie Selbstbewusstsein stets in der ersten Reihe sieht.

Blasmusik also und "Gott mit dir, du Land der Bayern", der Bundespräsident stapft vorbei an einer Ehrenhundertschaft der Bereitschaftspolizei. Steinmeier, gebürtiger Ostwestfale und bis vor Kurzem noch Sozialdemokrat mit Wahlkreis in Brandenburg, ist von Natur aus ja wenig alpenländisch veranlagt, und auf dem roten Teppich wird er in München dezent herumgeräumt vom Protokoll, damit er steht und geht, wo er soll.

Nun täuscht sich aber, wer meint, die Steinmeiers würden arg fremdeln im prä-alpinen Biotop München. Die beiden verbringen seit Jahren ihre Ferien in Südtirol, hoch über Bozen mit Blick auf die Geislerspitzen, sie freuen sich, als drinnen zwischen den Gamsbärten in der Staatskanzlei der Tölzer Knabenchor loslegt. "Griaß di Gott, griaß di Gott", singen die Kinder. "Ich will das übersetzen", erläutert Ministerpräsident Horst Seehofer wenig später: "Grüß Gott, Herr Bundespräsident."

Den Westfalen und den Bayern verbindet politisch bekanntlich wenig

Er wolle seinen Gästen bayerische Spezialitäten zeigen, also Gottvertrauen und Gastfreundschaft, "feste Wurzeln, gepaart mit Weltoffenheit", sagt Seehofer, bevor er sich für den Erstbesuch in Bayern bedankt. Er habe zu danken, gibt Steinmeier zurück, dass er, ein Ostwestfale "und obendrein noch ein Fan von Schalke 04" hier "mit offenen Armen empfangen" werde.

Dann ist den Höflichkeiten aber auch Genüge getan. Seehofer und Steinmeier, das sind ja bekanntlich keine Freunde, politisch. Aber nachdem der Bayer dem Westfalen in der Bundesversammlung die Stimmen der CSU gesichert hat und die Präsidentschaft, hat man sich offenbar auf ein Rundum-sorglos-Programm verständigt. Steinmeiers Demokratiereise führt ihn in Bayern jedenfalls nicht an Orte wie Passau, wo Ehrenamtler bis zur Erschöpfung mit hohen Flüchtlingszahlen kämpften. Bloß kein Ärger? Keine Misstöne zur kontroversen Flüchtlingspolitik? Nicht doch, heißt es im Präsidialamt. Flüchtlinge kämen beim Besuch in Niedersachsen dran. Statt Zoff gibt es also Dialog, mit Schülern, die im bayerischen Landtag warten, um ihre Demokratieprojekte vorzustellen. Jerry Festus und Dammy Ogumbiyil stehen da, 19 Jahre alt, beide aus Nigeria. Sie gehen in München in die Schule, bleiben dürfen sie in Deutschland vermutlich nicht. Ob der Präsident nicht die Gesetze ändern kann, würde Dammy eigentlich gern fragen. Das hat er erzählt, bevor Steinmeier in den Raum kam. Als der Präsident dann vor ihm steht, sagt er: "Deutschland ist ein demokratisches Land. Da haben alle gleiche Rechte." "Jut", sagt Steinmeier, "noch ein Foto?", und dann muss er auch schon weiter, in die Ludwig-Maximilians-Universität, wo Hunderte Studenten warten. "Demokratie - ob an der Uni, im Studierendenparlament oder in der Stadtgesellschaft ist anstrengend, manchmal ermüdend, hat vor allem immer mit Mut zu tun", sagt er dort. Auch "Mut zu Widerspruch" sei gefragt. Eben hat der Bundespräsident einen Kranz für die Geschwister Scholl niedergelegt, die 1943 in München hingerichtet wurden. "Zerreißt den Mantel der Gleichgültigkeit, den ihr um euer Herz gelegt habt", diese Aufforderung der mutigen Studenten von damals müsse auch heute wieder gelten. Flugs zeichnet Steinmeier dann von München und seiner Universität ein Bild, das als Ermunterung zu verstehen ist, sich gegen Nationalismus und Obrigkeiten zu stellen. In München sei mit der Weißen Rose der Traum von einem neuen Europa "früh lebendig" geworden. Nach dem Krieg sei die Münchner Politikwissenschaft hier "wachsam geblieben" für Fortschritt, "aber ebenso für die Gefährdungen der Demokratie". München und seine akademische Landschaft, das sei eigentlich der ideale Ort, um mutig für Wahrheit und demokratischen Dialog einzutreten, auch im Netz. Ob es dafür wirklich so viel Mut brauche, wird später eine Doktorandin fragen, als auf dem Podium diskutiert wird. Das klinge doch irgendwie alarmistisch. Sie frage sich auch, ob es klug sei, junge Leute dauernd aufzufordern, in die Zeitung statt aufs Smartphone zu schauen. So oberflächlich und unpolitisch, wie die Alten glaubten, seien die Jungen doch gar nicht, gibt eine junge Biochemikerin zu bedenken. Schon, schon, antwortet nachdenklich der Bundespräsident. Er sieht noch nicht wirklich überzeugt aus.

© SZ vom 27.04.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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