Bundespräsident:Alter Meister

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Joachim Gauck besucht ein Museum in Den Haag und nimmt in Maastricht eine Ehrendoktorwürde an. Die Studenten hatten ihn vorgeschlagen, er warnt sie vor einem "Alleingang der Eliten" in der EU.

Von Constanze von Bullion, Berlin

Noch schnell vorbeigeschaut bei den Ahnen europäischer Kulturgeschichte, bei den Rembrandts und Vermeers im Mauritshuis von Den Haag. Und dann kommt sie auch schon, die vermutlich letzte größere Rede, bei der dieser entschlossene kleine Herr den Enkeln des Kontinents ein Geschenk überreichen und ihnen etwas hinter die Ohren schreiben will.

Joachim Gauck und Daniela Schadt besuchen die Niederlande, wenige Tage vor der Wahl eines neuen Bundespräsidenten sind die beiden zurückgekehrt an den Ort, an dem Gauck einen seiner ersten und beglückendsten Auftritte hatte. 2012 war das, da sprach der Bundespräsident hörbar aufgeregt als erster Deutscher beim niederländischen Tag der Befreiung vom Nationalsozialismus. Anschließend durfte er mit Königin Beatrix Boot fahren und ließ sich, den Deutschen, vom niederländischen Volk bejubeln. "Ach", sagte Gauck damals, noch bevor es losging, "da fürchtet man sich, dass einen das übermannt."

"Viele Menschen sehen in der EU keinen Ort, an dem sie sich geborgen fühlen können."

Fünf Jahre sind seither vergangen, und mit dem Herzrasen scheint Gauck eine gute Portion Optimismus abhanden gekommen zu sein. Aus dem Freiheitsapostel, der den Segen der Demokratie gar nicht genug loben konnte, ist ein nachdenklicher Warner geworden. Und der Kontinent, auf dem Gauck mal sein Amt antrat, ist ein anderer, ein ängstlicherer geworden.

"Wir können in Europa seit Jahren eine wachsende Entfremdung zwischen politischen Eliten und Bevölkerungen beobachten", sagt Gauck am Dienstag in der Universität Maastricht. "Europa steckt in einer Krise." Im Hörsaal sitzen Festgäste neben Studenten, für sie sind fremde Sprachen, Globalisierung oder deutsche Nachbarn nie ein Grund zum Fürchten gewesen. Studenten waren es auch, sagt Gauck, die vorgeschlagen haben, ihm 25 Jahre nach der Unterzeichnung des Vertrags von Maastricht die Ehrendoktorwürde zu verleihen. Er revanchiert sich mit einem Brückenschlag "über Altersgrenzen hinweg".

Was dann kommt, ist eine Weckrede an die akademische Jugend Europas, die rausschauen soll aus der Blase der Gewissheit, in der Wohlstand, Rechtssicherheit und Weltoffenheit unveräußerliche Güter des Kontinents zu sein scheinen. Auch er selbst, Joachim Gauck, geboren im Krieg, habe das geeinte Europa lange als Garanten der Freiheit begriffen. Seit mit dem Vertrag von Maastricht die EU begründet worden sei und die "ever closer union", ein immer engeres Zusammenrücken der Völker Europas, habe er das für "die unhinterfragte Zielrichtung" gehalten.

Die Wirklichkeit aber, so gibt der Bundespräsident zu verstehen, sieht heute anders aus. "Viele Menschen sehen in der Europäischen Union einen Raum, aber keinen Ort, an dem sie sich geborgen fühlen können." Manche sehnten sich deshalb "nach einem Rückzug in den Nationalstaat", seien "anfällig für isolationistische Verführungen". Aus dem Wunsch, die Eliten abzustrafen, sei Verunsicherung geworden, mitunter "Hass auf Fremde und auf Fremdes". Die Politik aber könne sich nicht auf ein trotziges Weiter-so zurückziehen. Auch sei das Zusammenrücken der europäischen Staaten, der Grundsatz der "ever closer union", als work in progress zu verstehen, sowie als "Mahnung und Ansporn". Das klingt nicht mehr nach Verpflichtung, sondern nur noch nach Vision. Der Europäer Gauck, er nimmt in Maastricht Abschied, auch von eigenen Illusionen. Europa ja, aber langsamer, ist die Botschaft.

Zu Gast beim Mädchen mit dem Perlenohrring: Bundespräsident Joachim Gauck betrachtet am Dienstag im Mauritshuis von Den Haag, der Königlichen Gemäldegalerie, das berühmte Gemälde von Vermeer. (Foto: Rainer Jensen/dpa)

Und da ist noch etwas anderes, was das deutsche Staatsoberhaupt loswerden will. Der vielsprachigen, exzellent ausgebildeten Jugend Europas, die hier vor ihm sitzt und ihn beklatschen wird, legt Gauck diejenigen ans Herz, für die Globalisierung kein Tor zur Welt ist, sondern ein anderes Wort für ein schlechteres, benachteiligtes Leben. "Die Europäische Union kann nicht im Alleingang der Eliten gestaltet werden", sagt er. Dem hadernden Bürger da draußen aber müsse Europa besser erklärt werden, auch dass enge Zusammenarbeit der Staaten "nicht auf die Auslöschung nationaler Identitäten" ziele.

Heimat, Identität, Verwurzelung, Nation - gegen Ende seiner Reise zur missgestimmten europäischen Seele kommt Joachim Gauck dort an, wo er im Amt immer öfter hat Akzente setzen wollen: bei der Wehrhaftigkeit der Demokratie. Europa habe sich "lange unter dem Schild der amerikanischen Führungsmacht eingerichtet", sagt er. Nun diskutiere es "zu Recht", wie es "seine Verteidigungsbereitschaft erhöhen" könne, denn die Werte des europäische Projekts dürfe es "nicht preisgeben".

Zusammenrücken, nicht zurückweichen vor "neuer nationalistischer und autoritärer Verführung in einigen Ländern", empfiehlt der Redner seinem jungen Publikum, bevor er geht: "Geben Sie Ihre Zukunft nicht aus der Hand." Europa aber, das sei "ein Werkstück", an dem immer weitergearbeitet werden müsse.

Das klingt nach einem Auftrag und ein kleines bisschen auch so, als müsse sich der Gast aus Deutschland selbst noch an den Gedanken gewöhnen, das Werkstück demnächst aus der Hand zu legen.

© SZ vom 08.02.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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