Bundeskriminalamt:Unwissen ist Ohnmacht

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Als „leidvolle“ Erfahrung“ bezeichnet Holger Münch, Präsident des Bundeskriminalamts, die Ermittlungen gegen den ehemaligen Bundeswehrsoldaten Franco A. (Foto: Michael Kappeler/dpa)

Das BKA führt ein neues System ein, um das Risiko rechter Gewalt besser einschätzen zu können. Doch einsatzbereit ist es noch längst nicht.

Von Clara Lipkowski, Berlin

Ermittlungen zum rechtsextremen Bundeswehrsoldaten Franco A., zum Mord an Walter Lübcke, aber auch zum Anschlag von Halle sind es, die deutschen Sicherheitsbehörden immer wieder vor Augen führen, wie wenig sie über rechtsextremistische Strukturen und Hintermänner wissen. Franco A. zum Beispiel hatte terroristische Anschläge in Deutschland geplant. "Er hatte eine Waffe in einer Toilette in Wien deponiert, und als wir dann tiefer eingestiegen sind, waren wir am Ende bei einem Netzwerk in Mecklenburg-Vorpommern und bei weiteren Tätern, die viele Waffen und Munition gehortet hatten", sagte der Präsident des Bundeskriminalamts, Holger Münch, am Mittwoch in Berlin. Eine "leidvolle" Erfahrung sei das gewesen, meinte er dort beim Europäischen Polizeikongress. Die Zahl rechtsextremistischer "Gefährder", sagte er, dürfte deutlich höher sein, als bekannt. Aktuell stufen Sicherheitsbehörden nur 53 der bundesweit rund 12 700 gewaltbereiten Rechtsextremisten als Gefährder ein, als Personen also, denen sie schwere Gewalttaten bis hin zu Terroranschlägen zutrauen.

Wie hoch das Risiko ist, das von einzelnen rechten Gefährdern ausgeht, soll künftig mit einem eigenen System namens "RADAR-rechts" bestimmt werden. Für die aktuell rund 670 islamistischen Gefährder in Deutschland gibt es bereits ein solches Programm. Ermittler müssen dort verschiedene Fragen beantworten, etwa ob die Person Vorstrafen hat oder psychisch krank ist. Mithilfe der Antworten wird eine Person in ihrer Gefährlichkeit eingestuft. Doch trotz der Dringlichkeit, die auch Münch angesichts jüngster rechtsextremistischer Straftaten anmahnte, geht das Programm in diesem Jahr erst in eine Konzeptphase, 2021 soll eine Pilotphase folgen. Laut WDR und NDR ist das System erst im Frühjahr 2022 flächendeckend einsatzbereit.

Im Kampf gegen Hass und Hetze im Internet will das BKA zudem eine zentrale Meldestelle einrichten. Auch hierfür gibt es bereits ein Vorbild: eine Meldestelle für kinderpornografische Inhalte, an die sich auch Kollegen aus dem Ausland wenden können. Diese Fälle werden dort auf Strafbarkeit geprüft, dann die Personen identifiziert und die Informationen an die zuständigen Länder weitergegeben. Bei Hetze in sozialen Medien soll es ähnlich laufen. Im Sinne des Netzwerkdurchsetzungsgesetzes solle die Stelle nicht nur auf Beschwerden hin tätig werden können, sondern schon dann, wenn strafbare Inhalte gemeldet würden, etwa mithilfe der IP-Adresse, sagte Münch. "Wir rechnen mit sehr hohen sechsstelligen Fallzahlen, die zu bewältigen sind." Münch betonte, dass es gelte, Tätern klar zu machen, dass sie konsequent verfolgt würden und sich die Demokratie zu wehren wisse.

Die Zahl der Straftaten aus dem rechten Spektrum ist zwar leicht gesunken, von etwa 20 500 im Jahr 2017 auf etwa 20 400 im Folgejahr. Rassistische Straftaten aber, betonte Münch, hätten stark zugenommen, um mehr als 30 Prozent. Die Zahl antisemitischer Taten stieg um 20 Prozent. "Das alles muss uns also Sorge machen", sagte er.

Für 2019 wurden noch keine Daten veröffentlicht. Fest steht, dass die Zahl gewaltorientierter Linksextremisten 2018 bei unverändert etwa 9000 lag. Die linksmotivierte Kriminalität ist 2018 aber gesunken: auf etwa 7900 Fälle, 2017 waren es noch rund 9700. Das, so Münch, liege daran, dass es 2018 kein Großereignis wie den G-20-Gipfel in Hamburg 2017 gab. Von Straftaten insgesamt macht die politisch motivierte Kriminalität mit einem Prozent nur einen kleinen Teil aus - 2018 sank ihre Zahl auf rund 36 000 Fälle. Doch Münch warnte: Auf einer langen Zeitachse gesehen, sei das ein sehr hoher Wert.

© SZ vom 06.02.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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