Bundesgerichtshof:Grenzen des Rechts

Lesezeit: 2 min

Ein missglückter Paragraf: Die Anwendung der Staatsschutz-Vorschrift im StGB auf islamische Kämpfer in Syrien würde Assads Regime helfen.

Von WOLFGANG JANISCH, Karlsruhe

Seit sechs Jahren steht der von Beginn an umstrittene Paragraf 89a im Strafgesetzbuch - er galt vor allem den in ausländische Terrorcamps reisenden Islamisten. Nun hat der Bundesgerichtshof (BGH) zu einer "zurückhaltenden Anwendung" der Norm gemahnt - jedenfalls dann, wenn es um islamistische Kämpfer in einem unübersichtlichen Krieg wie jenem in Syrien geht. Das deutsche Strafrecht, so ist das Urteil zu verstehen, hat in solchen ausländischen Konflikten eigentlich nichts zu schaffen.

Auslöser des Urteils ist der bizarre Fall der sogenannten Allgäuer Islamistin. Eine junge Frau aus Immenstadt im Allgäu, 2012 zum Islam konvertiert, reiste in einer Mischung aus Dschihad-Romantik und haarsträubendem Unverstand Anfang 2014 nach Syrien - mit ihren beiden Töchtern, die eine sieben, die andere drei Jahre alt. Den Weg dorthin hatte ihr eine Facebook-Bekanntschaft geebnet, deren Mann Mitglied der zur al-Qaida gehörenden islamistischen Jabhat al-Nusra-Front war. Er nahm sie zur "Zweitfrau". Und weil ringsum der Krieg tobte, ließ sie sich im Umgang mit Waffen unterweisen. Zur Selbstverteidigung, wie sie versicherte - man hatte eine Maschinenpistole, ein Sturmgewehr und Handgranaten im Haus.

Nach ihrer Rückkehr im Mai 2014 wurde sie wegen Kindesentziehung zu anderthalb Jahren Haft auf Bewährung verurteilt; der Vater der Kinder, dem inzwischen das Sorgerecht zugesprochen worden ist, hatte von dem gefährlichen Umzug nichts gewusst. Eine Verurteilung wegen Vorbereitung einer "schweren staatsgefährdenden Gewalttat", wie es in Paragraf 89a heißt, hatte das Landgericht München I indes abgelehnt. Der BGH hat dieses Urteil nun bestätigt. Zwar hatte man in ihrem Handy den martialischen Satz gefunden: "Wenn die Ungläubigen kommen, schieß ich ihnen mit der Kalaschnikow den Kopf ab." Allerdings sei es ihr allein darum gegangen, ihr Leben und das ihrer Kinder vor Angriffen der syrischen Armee zu schützen, sagte sie. Sie habe zwar mit Jabhat al-Nusra sympathisiert, jedoch nicht aktiv an Kämpfen teilgenommen. Sie habe wegen des Krieges sogar mehrmals den Wohnort gewechselt. Kurzum: Ein Waffenlehrgang mit rein defensivem Charakter wird auch dann nicht zwingend zur in Deutschland strafbaren Terrorvorbereitung, wenn er von Islamisten abgehalten wird.

Die Anwendung des § 89a StGB in Syrien würde auch das Regime Assad stützen

Der Staatsschutzsenat des BGH unter Vorsitz von Jörg Peter Becker geht aber noch einen Schritt weiter. Sinn und Zweck der auf terroristische Einzeltäter gemünzten Vorschrift legten es nahe, sie allenfalls zurückhaltend auf lange dauernde bewaffnete Konflikte im Ausland mit "massiven Gewalthandlungen" zahlreicher beteiligter Gruppen anzuwenden. Denn Paragraf 89a ist eine Staatsschutzklausel - allerdings eine, die nach ihrem Wortlaut auch "Diktaturen und sonstige Unrechtsstaaten" umfasst, wie der BGH anmerkt. Auf Syrien übertragen, heißt dies: Das deutsche Recht droht radikalen Islamisten deutscher Staatsangehörigkeit oder Herkunft auch dann eine Strafe an, wenn sie auf syrischem Boden Terrorakte gegen die syrischen Truppen vorbereiten. Das wäre gleichsam deutscher Staatsschutz zugunsten des mörderischen Assad-Regimes - eine absurde Vorstellung. Deshalb hat der BGH nun entschieden: Der verunglückte Paragraf 89a StGB soll im innersyrischen Kontext möglichst nicht zum Einsatz kommen.

© SZ vom 28.10.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: