Bürgermeisterwahl in New York:Preis des Aufräumens

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Will wieder für eine gerechtere Stadt sorgen: Bill de Blasio, der Kandidat der Demokraten für das Bürgermsiteramt in New York (hier nach der Stimmabgabe mit seiner Familie). (Foto: REUTERS)

Viele New Yorker finden es angenehm, in einer Stadt zu leben, in der man nicht mehr damit rechnen muss, in den Pistolenlauf eines Straßenräubers zu schauen. Die negativen Seiten der Law-and-Order-Politik, für die die republikanischen Bürgermeister Giuliani und Bloomberg stehen, sind erst allmählich deutlich geworden. Der Demokrat Bill de Blasio will jetzt für mehr Gerechtigkeit sorgen.

Ein Kommentar von Andrian Kreye

Mit dem Sieg des Demokraten Bill de Blasio bei der Bürgermeisterwahl in New York geht nicht nur eine politische Ära zu Ende. Diese begann 1994 mit dem Amtsantritt des Republikaners Rudolph Giuliani, der 2002 von seinem (damaligen) Parteikollegen Michael Bloomberg abgelöst wurde. Das war damals schon eine Leistung in einer Stadt, die seit 1918 mit einer einzigen Ausnahme von Demokraten regiert worden war.

De Blasios Sieg ist aber vor allem eine Zäsur in einem der ehrgeizigsten und erfolgreichsten Stadterneuerungsprojekte in der Geschichte der Menschheit. Vom Moloch zur Metropole in weniger als 20 Jahren - Giuliani und Bloomberg haben in New York buchstäblich aufgeräumt.

Die meisten New Yorker mit einem Jahreseinkommen, das weniger als sieben Stellen vor dem Komma aufweist, haben diese Jahre in einer moralischen Zwickmühle erlebt. Schon bald nach Giulianis Amtsantritt wurde klar, dass es sehr viel angenehmer ist, in einer Stadt zu leben, in der man nicht mehr damit rechnen musste, selbst in besseren Vierteln in den Pistolenlauf eines Straßenräubers zu schauen; in der die Parks nicht mehr Refugien für Junkies und Crackheads waren; in der man vor dem Bankautomaten nicht jedes Mal zähe Verhandlungen mit Bettlern führen musste.

Viel Polizeipräsenz sorgte in den vergangenen Jahren für Sicherheit in New York (Foto: REUTERS)

Der Preis für die neue Ordnung war zunächst nicht besonders hoch. Kaum einer kannte die Ganoven, Süchtigen, Obdachlosen und Prostituierten, die von den Straßen verschwanden. Bald schon gab es hübsche Wohnungen in Gegenden, die lange verbotene Zonen gewesen waren. Dann kam das Geld zurück in die Stadt, das in den Siebziger- und Achtzigerjahren in die Vororte und die Provinz geflüchtet war.

Vorreiter der weltweiten Gentrifizierung

Banken, Medienkonzerne und Internetfirmen brachten aber nicht nur Steuern nach Manhattan und Brooklyn. Die Besten und Klügsten zogen aus aller Welt nach New York und brachten gute Lokale und hübsche Boutiquen, Nachtclubs und Galerien. Mitte der Neunzigerjahre beschwerten sich die Produzenten der Krimiserie "Law & Order" dann schon, dass sie beim Drehen in New York Müll, Dreck und Penner von der Requisite besorgen lassen müssten. Für den Rest der fernsehenden Welt gehörten die immer noch unbedingt zum authentischen Bild der wilden Stadt.

Seit Giuliani und Bloomberg herrscht Ordnung in New York (Foto: Dan Istitene/AFP)

In Wahrheit war der Preis des Aufräumens allerdings viel höher. Man erfuhr davon in Berichten über Obdachlosenasyle in Sporthallen, in denen es zuging wie im Flüchtlingslager; über das Elend in den Wohnsilos der Außenbezirke von Brooklyn, Queens und der Bronx; über die überfüllten Gefängnisse in der Provinz. Auch wer umziehen wollte, bekam einen Hauch davon zu spüren. Mit jedem Umzug wurde die Wohnung kleiner, rückte man näher an die Ränder der Stadt. New York wurde zum Vorreiter der weltweiten Gentrifizierung der Städte.

Nun war dieses Projekt aber keineswegs die Idee von Rudolph Giuliani. Er hatte nur fortgeführt, was durch die Krise der amerikanischen Großstädte rund 25 Jahre lang unterbrochen worden war. Die eigentliche Idee hatte einst der Bankier David Rockefeller, der sah, dass eine Industrie- und Handelsstadt wie New York auf Dauer nicht überleben würde. 1958 gründete er die Downtown Lower Manhattan Association, um den Wandel zur Finanz- und Medienmetropole anzuschieben. Das erste Großprojekt war das World Trade Center.

Als die Zwillingstürme 2001 einstürzten, war die Stadt schon so stabil, dass nicht einmal die Katastrophe die Entwicklung aufhalten konnte. Heute ist Manhattan je nach Ansicht ein Vergnügungspark für Reiche oder der Motor der freien Weltwirtschaft. De Blasio will Gerechtigkeit. Die Frage ist nur - kann sich New York die nun wieder leisten?

© SZ vom 06.11.2013 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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