Britischer Millionär legt sich mit russischer Justiz an:Gerechtigkeit für meinen Anwalt

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Vor zwei Jahren starb der Jurist Sergej Magnitskij in einem Moskauer Untersuchungsgefängnis - er hatte Funktionären des russischen Innenministeriums vorgeworfen, in einer gigantischen Verschwörung 230 Millionen Dollar aus der Staatskasse gestohlen zu haben. Noch immer ist der Fall nicht abgeschlossen: Der Londoner Multimillionär William Browder hat Moskaus Mächtigen den Kampf angesagt.

Frank Nienhuysen, Moskau und Daniel Brössler, Berlin

Ihr Sohn ist seit fast zwei Jahren tot, da möchte sie jetzt mal in Ruhe gelassen werden. Natalja Magnitskaja aber hat kürzlich Post bekommen. Sie sollte sich vor wenigen Tagen um zehn Uhr morgens im Moskauer Stadtzentrum in einer Abteilung des russischen Innenministeriums einfinden. Als Zeugin sollte sie aussagen - in einem Verfahren gegen ihren toten Sohn Sergej Magnitskij. Doch sie ging einfach nicht hin. Sie sagte, es sei nicht nur so, dass sie den Ermittlern misstraue, "ich habe Angst vor ihnen".

Natalja Magnitskaja, die Mutter des gestorbenen Anwalts Sergej Magnitskij, mit einem Porträt ihres Sohns. (Foto: AP)

Natalja Magnitskaja reichte eine Beschwerde ein gegen die Wiederaufnahme von Ermittlungen, die sie "für unmoralisch" hält, für "ungesetzlich" und "zynisch". Ludmila Alexejewa, Vorsitzende der Moskauer Helsinki-Gruppe, sprach von "gewissenlosen Ermittlungen, und dass Magnitskaja nicht aussagen will, ist absolut richtig." Magnitskaja forderte die Justiz auf, den Fall endlich zu schließen, der ihr ohnehin schon so viel Schmerz gebracht hat. Denn ihr Sohn könnte noch leben.

Sergej Magnitskij, ein ehrgeiziger Jurist und Berater des Investment-Unternehmens Hermitage Capital, war 37 Jahre alt, als er im November 2009 im Moskauer Untersuchungsgefängnis Butyrka starb. Er hatte Funktionären des russischen Innenministeriums vorgeworfen, in einer gigantischen Verschwörung 230 Millionen Dollar aus der Staatskasse gestohlen zu haben.

Später wurde der Anwalt selbst wegen angeblicher Steuerhinterziehung festgenommen, nach Angaben seiner Verteidiger waren die Vorwürfe fingiert. Im Gefängnis erkrankte er, sein Gesundheitszustand wurde zunehmend schlechter, er litt an Nierenkoliken. Ein Jahr lang war der Hermitage-Berater in Haft. Doch die notwendige medizinische Hilfe wurde ihm verwehrt. Er starb.

Auch fast zwei Jahre später ist der Fall Magnitskij noch nicht abgeschlossen, juristisch nicht, und auch nicht politisch. Dies ist nicht zuletzt so, weil der Londoner Multimillionär William Browder Moskaus Mächtigen den Kampf angesagt hat. Der Gründer von Hermitage Capital, dem einst führenden ausländischen Investmentfonds in Russland, hat sich längst von allen Geschäften in dem Land zurückgezogen.

Er verfolgt nur noch ein Ziel: Die Verantwortlichen sollen zur Rechenschaft gezogen werden für den Tod seines Anwalts Magnitskij. "Diese Menschen wollen nicht ihr ganzes Leben in Russland eingesperrt sein", sagt Browder. Genau dies aber hat er sich zum Ziel gesetzt. In den USA hat Browder schon ein Einreiseverbot für 60 Russen erwirkt, die in den Tod Magnitskijs verwickelt sein sollen. Auch in Deutschland wirbt Browder dafür, Mitschuldige mit Sanktionen zu belegen.

Natalja Magnitskaja hat derweil noch andere Sorgen. Sie klagte, ausgerechnet jene Ermittler sollten ihre Aussagen aufnehmen, die einst gegen ihren Sohn vorgegangen seien. In ihrem Beschwerdeschreiben, das der SZ vorliegt, deutet sie die neuen Ermittlungen als "Maßnahme, psychologischen Druck auf die Opfer auszuüben, mit dem Ziel, die Rolle staatlicher Beamter bei der ungesetzlichen Verhaftung Magnitskijs zu vertuschen".

Ein Menschenrechtsrat des russischen Präsidenten Dmitrij Medwedjew hatte im Juli einen Zwischenbericht vorgelegt, in dem festgestellt wird, dass Ermittler des Innenministeriums, Richter und Ärzte zweier Untersuchungsgefängnisse schuldig am Tod Magnitskijs seien. Für die russische Politik ist der Fall heikel, weil er ein düsteres Zeugnis ist für die Zustände in russischen Gefängnissen, womöglich auch für die Skrupellosigkeit von Staatsbediensteten.

Ärzte werden jedenfalls nun angewiesen, Einzelhäftlinge medizinisch besser zu betreuen. Und der russische Innenminister Raschid Nurgalijew drohte vor wenigen Tagen Polizeioffizieren, die sich unrechtmäßig bereichert und im Fall Magnitskijs schuldig gemacht hätten, "mit einem glühend roten Bügeleisen". Im Moment könne er allerdings niemanden wegen etwas belangen, räumte Nurgalijew ein. Gegen zwei Gefängnis-Mitarbeiter wurden inzwischen Ermittlungen eingeleitet, aber russische Menschenrechtler bezweifeln, dass auch ranghohe Beamte zur Verantwortung gezogen werden.

Browder hält das sogar für ausgeschlossen. Für ihn ist Russland ein "krimineller Polizeistaat". Sein Kampf gegen die russische Führung geht zurück auf das Jahr 2005. Nach zehn Jahren als Geschäftsmann in Russland wurde dem Briten damals die Einreise verweigert. Zur Persona non grata sei er geworden, glaubt Browder, weil er Korruption angeprangert habe.

Browders Unternehmungen gerieten ins Visier der Behörden. Bei Razzien verschwanden Stempel und Gründungsdokumente, die nach Recherchen von Browders Anwalt Magnitskij benutzt worden sein sollen, um Firmen von Hermitage Capital auf neue Eigner umzuschreiben. Mit einem fingierten Verlust soll sich die Gruppe im Jahr 2007 dann 230 Millionen US-Dollar Steuerrückzahlung erschlichen haben - genau die Summe, die seine Firmen nach Browders Darstellung zuvor an Steuern entrichtet hatten.

Browder behauptet, sein Vermögen rechtzeitig aus Russland abgezogen zu haben. Die Nachricht vom Tod seines Anwalts aber habe sein Leben verändert, sagt er. Nun widmet er dem Kampf gegen Magnitskijs Peiniger seine Arbeitskraft und offenbar auch Teile seines nicht unerheblichen Vermögens. Browder will, dass ihre Konten im Ausland gesperrt werden und sie keinen westlichen Staat mehr besuchen können. Utopisch sei das nicht, behauptet der Enkel eines früheren Chefs der Kommunistischen Partei in den USA. "Es gibt einen Markt für Moral und Menschlichkeit", sagt er. Niemand könne allen Ernstes dafür sein, Folterer und Mörder ins Land zu lassen.

Tatsächlich ist in der Schweiz kürzlich das Konto des Ehemanns einer russischen Finanzbeamtin gesperrt worden. Seinen größten Erfolg hat Browder aber bisher in Washington erzielt. Dort brachte der demokratische Senator Ben Cardin ein Sergej-Magnitskij-Gesetz auf den Weg, das die von Browder geforderten Einreiseverbote erzwingen soll. Das ursprünglich skeptische US-Außenministerium setzte die beschuldigten Männer und Frauen tatsächlich auf eine schwarze Liste. Als Vergeltungsmaßnahme drohte die Regierung in Moskau mit Einreiseverboten für US-Ermittler, die den russischen Waffenhändler Viktor Bout hinter Gitter brachten.

Auch im Bundestag in Berlin sucht Browder seit Monaten nach Verbündeten. Er glaubt sie bei Grünen und SPD, aber auch in den Regierungsfraktionen von FDP und Union gefunden zu haben. "Die russische Seite muss den Tod von Sergej Magnitskij dringend juristisch aufarbeiten. Wenn sich in dieser Hinsicht nichts bewegt, halte ich ein Einreiseverbot für ein mögliches Mittel, um den Druck auf die russische Seite zu erhöhen", sagt die FDP-Abgeordnete Marina Schuster. Er könne sich einen fraktionsübergreifenden Antrag vorstellen, sagt der SPD-Abgeordnete Christoph Strässer. Als "erschütternd" bezeichnet Marieluise Beck von den Grünen den Fall.

Sehr wahrscheinlich ist ein Erfolg Browders in Deutschland aber bisher nicht. "Die Bundesregierung hat die russische Seite wiederholt aufgefordert, die Todesumstände von Sergej Magnitskij vollständig aufzuklären und die Verantwortlichen zur Rechenschaft zu ziehen. Das gilt weiterhin", teilt das Auswärtige Amt mit. Den Verlauf der russischen Ermittlungen werde man "weiter beobachten und das Ergebnis genau prüfen". Von einem möglichen Einreiseverbot ist da nicht die Rede.

© SZ vom 13.09.2011 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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