Das Europa der verschiedenen Geschwindigkeiten - seit dem britischen Referendum für ein Ende der EU-Mitgliedschaft Großbritanniens hat das Thema wieder Konjunktur; genährt auch durch eine neue französisch-deutsche Initiative, die in den kommenden Tagen die Außenminister Frankreichs und Deutschlands konkret vorstellen wollen. Am Tag zwei nach dem Beschluss der Briten zeigt sich aber, dass bislang ganz woanders unterschiedliche Geschwindigkeiten vorherrschen: in der deutschen Hauptstadt.
Bundeskanzlerin Angela Merkel präsentierte sich am Samstag nach einem Treffen der Spitzen von CDU und CSU betont großzügig gegenüber London. Sie erklärte, es läge nun erst einmal an der britischen Regierung, wie und wann sie den Austritt aus der EU angehen werde. Merkel betonte, sie gehe natürlich davon aus, dass London das Ergebnis umsetzen werde. Zur Frage, wie schnell das geschehen sollte, sagte die Kanzlerin aber: "Ehrlich gesagt soll es nicht ewig dauern, das ist richtig. Aber ich würde mich auch nicht wegen einer kurzen Zeit verkämpfen." Merkel bleibt sich treu: Auch in bitteren Zeiten soll bloß keiner Hektik verbreiten.
Das sieht Merkels Außenminister Frank-Walter Steinmeier ganz anders. Als er am Samstagmittag nach einem Treffen mit seinen Kollegen aus Frankreich, Italien und den drei Benelux-Staaten auftritt, lässt er keinen Zweifel daran, dass London sich jetzt nach seinem Willen wie dem seiner Kollegen keine Zeit mehr lassen soll. Die Verhandlungen über einen Austritt sollten "so bald wie möglich losgehen'', ansonsten drohe ,,eine Hängepartie", die niemandem nutze.
Steinmeier betonte, Großbritannien habe nicht nur eine Verantwortung für seine eigene Zukunft, sondern auch dafür, dass sich die Europäische Union mit ihren dann 27 Mitgliedern rasch der eigenen Zukunft zuwenden könne.
Ayrault: Rücktritt Camerons kein Grund für langes Abwarten
Noch deutlicher wurde Steinmeiers französischer Kollege Jean-Marc Ayrault. Er betonte, auch der Rücktritt des britischen Premiers David Cameron dürfe kein Grund für langes Abwarten sein. London könne binnen weniger Tage einen neuen Regierungschef stellen. Cameron selbst habe das Referendum einst initiiert, nun müsse er auch die Konsequenzen tragen - und schnell dazu beitragen, dass der Prozess der Scheidung wie von Cameron selbst angekündigt über Artikel 50 des EU-Vertrags eingeleitet werde. Ayrault ließ keinen Zweifel an seiner Auffassung, dass sich die EU bei allen Bestrebungen, auch künftig ein gutes Verhältnis zu Großbritannien zu pflegen, nun um sich selbst kümmern müsse.
Das Treffen zeigte überhaupt, dass sich in der Frage zwischen den Außenministern der sechs Gründungsstaaten der EU keinerlei Risse zeigen. Auch die Außenminister Italiens, Paolo Gentiloni, der Niederlande, Bert Koenders, Belgiens, Didier Reynders, und Luxemburgs, Jean Asselborn, betonten ihre Sorge vor britischen Verzögerungsversuchen.
Asselborn warnte vor einem "Katz- und Maus-Spiel". So etwas würde weder zur EU noch zu Großbritannien passen. "Hier muss Klarheit herrschen. Das Volk hat gesprochen. Wir haben Respekt vor der Entscheidung. Und wir müssen die Entscheidung jetzt umsetzen." Sollte irgendjemand in London die Hoffnung gehegt haben, die EU werde auch nach dem Votum Geduld haben, ja, möglicherweise weitere Zugeständnisse machen, und sei es nur beim Spielraum bis zur Umsetzung - dem demonstrierten zumindest die sechs Außenminister an diesem Samstag in Berlin, dass sie das nicht zulassen möchten.