Brexit-Verhandlungen:Die Sphinx soll endlich reden

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Protest gegen die Trennung durch den Brexit: Bewohner von Orten an der Grenze zwischen Irland und Nordirland spielen vor, wie künftige Kontrollen aussehen könnten. (Foto: Charles McQuillan/Getty Images)
  • Während in London das Parlament weiter diskutiert, ist in Brüssel die Geduld mit den Briten fast aufgezehrt.
  • Zwar will Berlin den harten Austritt abwenden, aber Paris hat wenig Neigung, das Drama zu verlängern.
  • Premierministerin Theresa May muss vor allem bald erklären, ob ihr Land bei der Europawahl Ende Mai teilnimmt.

Von Alexander Mühlauer, Brüssel

Angela Merkel ist nicht dafür bekannt, sich allzu rasch festzulegen. Gerade in der Europapolitik lässt sich die Bundeskanzlerin oft Zeit, bevor sie Position bezieht. Beim Brexit macht sie allerdings eine Ausnahme. Schon seit einiger Zeit erklärt Merkel, dass sie "bis zur letzten Stunde" dafür kämpfen werde, einen ungeordneten EU-Austritt Großbritanniens zu verhindern.

Doch die Kanzlerin hat das nicht allein in der Hand. Das Interesse, ein No-Deal-Szenario mit (fast) allen Mitteln abzuwenden, ist in der EU bei Weitem nicht überall so ausgeprägt wie in Berlin. Schon gar nicht in Paris.

Anders als die Kanzlerin hat Emmanuel Macron die Möglichkeit eines harten Brexit ohne Austrittsvertrag immer wieder betont. In den Augen des französischen Präsidenten sei die Wahrscheinlichkeit eines chaotischen EU-Austritts in den vergangenen Tagen gestiegen, hieß es am Montag in französischen Regierungskreisen.

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Der Brexit-Beauftragte des Europaparlaments sieht kaum noch Chancen für einen geordneten Austritt der Briten, nachdem auch alle Alternativen zu Mays Deal im Unterhaus durchgefallen sind. Das britische Kabinett berät heute über das weitere Vorgehen.

Die Botschaft aus Paris ist klar: Die Briten sollen sich ja nicht zu sicher sein, dass die EU sie auf keinen Fall über die Klippe springen lässt. Nicht nur im Fall von Macron gibt es durchaus gewichtige Argumente, die gegen eine weitere Verlängerung des Brexit-Dramas sprechen.

Zunächst zur Ausgangslage. Eine Woche vor dem Sondergipfel am 10. April ist die politische Situation in London noch immer unberechenbar. Doch egal ob das Unterhaus noch einmal über den Austrittsvertrag abstimmt oder sonstige Wünsche äußert: Die 27 verbleibenden EU-Staaten bereiten sich auf alle Optionen vor. Die Leitplanken haben die Staats- und Regierungschefs beim letzten EU-Gipfel selbst gesetzt.

Und so wird die britische Premierministerin Theresa May erklären müssen, ob ihr Land bei der Europawahl Ende Mai teilnimmt. Dies ist die Grundvoraussetzung für einen weiteren Brexit-Aufschub. May muss zudem einen überzeugenden Weg aufzeigen, wie es nun weitergehen soll.

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Diese zweite Bedingung wurde in der jüngsten Gipfel-Erklärung bewusst offen formuliert. Klar ist aber, dass der EU-27 eine weitere Abstimmung über den Austrittsvertrag nicht reichen wird, um einer Verlängerung zuzustimmen. "Wir müssen sicher sein können, dass wir danach nicht wieder dort landen, wo wir jetzt schon sind: in der Sackgasse", sagt ein EU-Diplomat.

Möglich wären also Neuwahlen oder ein zweites Referendum. Andererseits birgt beides große Unsicherheiten - auch für die EU. So könnte etwa ein Brexiteer wie Boris Johnson neuer Premier werden - mit Stimmrecht im Europäischen Rat.

Neben der unsicheren Lage in London dürften die Staats- und Regierungschefs vor allem eines abwägen: Welche Folgen hat es, wenn Großbritannien nun doch an der Europawahl teilnimmt? Nach dem Brexit soll die Zahl der Abgeordneten im Europäischen Parlament eigentlich von 751 auf 705 sinken. 46 der bislang 73 britischen Sitze werden für mögliche EU-Erweiterungen in Reserve gehalten. Die verbleibenden 27 Sitze werden auf bislang leicht unterrepräsentierte Länder aufgeteilt.

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Wenn Großbritannien ohne Vertrag aus der EU austreten würde, werde es noch viel schlimmer, warnt BDI-Präsident Kempf. Am meisten schadet der Brexit aber den Briten selbst.

Die meisten neuen Sitze bekämen Frankreich und Spanien. Sollte der Brexit-Prozess verlängert werden, müssten Paris und Madrid auf je fünf zusätzliche Abgeordnete verzichten. Für Macron, dessen Bewegung La République en Marche zu keiner etablierten Parteienfamilien gehört, käme hinzu, dass er keinerlei Verbündeten in Großbritannien hat. Labour würde in der sozialdemokratischen Fraktion bleiben und die Tories wohl bei der EU-kritischen EKR-Gruppe.

Aber auch fern des parteipolitischen Machtpokers gibt es eine Hürde, die alle 27 EU-Staaten vermessen müssen: Nimmt Großbritannien an der Europawahl teil, hätte es de facto weiter alle Rechte eines EU-Mitglieds. Die Abgeordneten aus dem Vereinigten Königreichs dürften also den neuen Kommissionspräsidenten mitwählen und bei der Auswahl von Kommissaren mitbestimmen.

Inwieweit Großbritannien sich im EU-Ministerrat bei Zukunftsfragen enthält, ist Verhandlungssache. So dringen etwa die meisten EU-Staaten darauf, dass London bei den anstehenden Beratungen über den nächsten Haushaltsrahmen nichts mitzureden hat.

Einer der "größten Zerstörern der neuzeitlichen Geschichte"

Doch all diese Planspiele ändern nichts an der verfahrenen Lage. "Eine Sphinx ist ein offenes Buch im Vergleich zum britischen Parlament", sagte EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker am Montag. Er appellierte, "diese Sphinx jetzt zum Reden zu bringen", denn es reiche jetzt "mit dem langen Schweigen".

Keine Frage, der Frust ist groß in Brüssel. Und so äußerte Juncker seinen Unmut, dass die EU-Kommission vor dem Brexit-Referendum ihre Argumente für Europa nicht in Großbritannien habe vortragen dürfen. Dies sei ihr vom damaligen Premierminister David Cameron verboten worden, sagte Juncker. Und fügte hinzu: "Von Herrn Cameron, der zu den größten Zerstörern der neuzeitlichen Geschichte gehört."

© SZ vom 02.04.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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