Brexit:Entscheidende Tage

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Michel Barnier am Mittwoch auf dem Weg zu den Verhandlungen in London: Der Franzose warnt, dass die Zeit in den Brexit-Gesprächen knapp wird. (Foto: Frank Augstein/dpa)

EU-Chefverhandler Barnier warnt, dass ein Handelsvertrag mit Großbritannien bis Ende der Woche fertig sein muss. Einige Mitgliedstaaten werden schon nervös - und fürchten den Ausverkauf ihrer Interessen.

Von Björn Finke und Alexander Mühlauer, Brüssel, London

Die Geschichte der Brexit-Verhandlungen ist reich an angeblich unverrückbaren Fristen. Am Mittwoch fügte EU-Chefunterhändler Michel Barnier dieser Sammlung einen weiteren Stichtag hinzu - und diesmal könnte es ernst werden: Der Franzose informierte EU-Botschafter und Europaparlamentarier in Videokonferenzen über den Stand seiner Gespräche mit London. Nach Angaben von Teilnehmern sagte er, die Einigung auf einen Freihandelsvertrag müsse bis Ende dieser Woche erfolgen. Gelinge das nicht, würden die Verhandlungen mit der britischen Regierung zwar weiterlaufen, aber ein Handelsvertrag zum 1. Januar sei dann kein realistisches Ziel mehr. Die Gespräche bräuchten in dem Fall einen anderen Rahmen.

Nach den Videokonferenzen machte sich Barnier auf den Weg zu den Verhandlungen mit seinem britischen Gegenüber Lord David Frost. Die beiden diskutieren in dieser Woche in London. Dass die Zeit so drängt, liegt daran, dass zum Jahreswechsel die Übergangsphase endet, in der Großbritannien in Binnenmarkt und Zollunion der EU bleibt. Ohne Handelsvertrag müssten beide Seiten dann Zölle und Zollkontrollen einführen.

Sozial- und Umweltstandards sind weiter ein strittiges Thema - und Fangquoten für die Fischer

Allerdings liegen EU und Großbritannien bei den altbekannten Streitpunkten weiter auseinander, etwa beim Level Playing Field: der Frage, wie sichergestellt werden kann, dass Firmen aus Großbritannien keine unfairen Vorteile gegenüber Rivalen in der EU genießen werden. Brüssel drängt hier auf verbindliche Zusagen, dass London Sozial- und Umweltstandards nicht absenkt. Strittig ist auch, wie die Vertragspartner auf Verstöße reagieren können, also welche Strafen möglich sind und welches Gremium darüber entscheidet.

Zudem sind Brüssel und London uneins über die Fischereipolitik. Bislang dürfen EU-Flotten sehr viel in britischen Gewässern fangen, und nach dem Willen Brüssels soll sich das nicht großartig ändern. Premier Boris Johnson möchte aber erreichen, dass seine heimischen Fischer höhere Fangquoten erhalten, zulasten der Fischer in EU-Staaten wie Frankreich. Barnier wollte am Mittwoch Verhandlungen über einzelne Fischarten führen.

"Ein wenig nervös" sei man in einigen europäischen Hauptstädten

Doch Zugeständnisse sind heikel: Das zeigte auch eine gemeinsame Pressekonferenz von Frankreichs Präsident Emmanuel Macron und dem belgischen Ministerpräsidenten Alexander De Croo am Dienstag. Das Duo betonte dort, dass es keinen Handelsvertrag um jeden Preis geben dürfe und die langfristigen Interessen der EU - und ihrer Fischer - gewahrt bleiben müssten. Ein EU-Diplomat kommentierte den Auftritt mit den Worten, dass jetzt das Endspiel der Brexit-Verhandlungen beginne und einige Regierungen "ein wenig nervös" würden und Angst hätten, Barnier könnte London zu sehr entgegenkommen. Die Videokonferenz Barniers mit den EU-Botschaftern habe "vor allem dem Ziel gedient, die Nerven in Paris und sonstwo zu beruhigen und den Mitgliedstaaten zu versichern, dass Barnier weiter Kerninteressen der EU verteidigen wird, inklusive Fischereipolitik".

In London bereitet die britische Regierung unterdessen eine weitere Provokation vor. Nach dem bereits vorgelegten Entwurf eines nationalen Binnenmarktgesetzes will Johnson mit dem sogenannten Finanzgesetz ( finance bill, auch bekannt als taxation bill) erneut den bereits gültigen Austrittsvertrag aushebeln - und damit internationales Recht brechen. Den Briten geht es darum, Bestimmungen für den Warenhandel zwischen Großbritannien und Nordirland unilateral verändern zu können. Es wird erwartet, dass die Regierung den Gesetzentwurf in der kommenden Woche vorlegt. Die EU hat bereits klargestellt, dass sie dies als Vertrauensbruch werten würde.

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