Brexit:Auf eine Tasse Fünf-vor-zwölf-Tee

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Manfred Weber, Chef der EVP-Fraktion im EU-Parlament, trifft Großbritanniens Premierministerin Theresa May zum Brexit-Krisengespräch in London.

Von Daniel Brössler, London

Schlechte Sicht. Vor einer Stunde ist Manfred Weber in Paris in den Eurostar 9019 Richtung London gestiegen. Der Zug rast durch den Nebel. "Die Frage ist", sagt Weber, "möchte sie Kompromisse finden oder will sie mir nur was verkaufen?" Sie - das ist Theresa May, britische Premierministerin in Not. May hat den christsozialen Chef der größten Fraktion im EU-Parlament zum Tee in die Downing Street eingeladen. Vergangene Woche hatte sich der britische Botschafter gemeldet: Weber möge doch möglichst bald bei May vorbeischauen. Er fühle sich geehrt, natürlich, aber was das Gespräch jetzt bringen werde, das wisse er nicht, sagt Weber, während sich der Zug dem Kanal nähert.

Mehr als 500 Tage nach dem Brexit-Votum und weniger als anderthalb Jahre vor dem Austritt sieht es so aus, als seien May die Dinge vollends entglitten. In ihrer Regierung wie im Unterhaus herrscht Chaos. Erste Abstimmungen über ihren Brexit-Gesetzentwurf übersteht sie am Mittwoch immerhin. Ordnung in der Brexit-Frage aber scheint es nur auf der anderen Seite des Kanals zu geben. Die einheitliche Front der Europäer hält, darauf verweist auch Weber. Die Briten sollen zahlen, was sie schulden. Vom EU-Gipfel Mitte Dezember erhofft sich May grünes Licht für den Beginn der nächsten Verhandlungsphase, in der es dann auch um eine Übergangszeit und das künftige Verhältnis gehen soll. Doch dafür müsste sie mehr Geld auf den Tisch legen als jene 20 Milliarden Euro, die sie bisher vorgezeigt hat - und das schnell. EU-Chefunterhändler Michel Barnier hat am Freitag Fortschritte binnen zwei Wochen verlangt. Jetzt ist es nur noch eine. "Es ist keine Bewegung zu erkennen, dass Großbritannien seine Verpflichtungen anerkennt", konstatiert Weber vor dem Gespräch.

Der Europapolitiker will May klarmachen, dass die Briten deutlich nachlegen müssen

May hat nicht viel in der Hand, aber den Mangel immerhin verwaltet sie engagiert. Sie weiß zum Beispiel, dass auch bei fallendem Pfund eine Tasse Tee in Downing Street immer noch ihren Wert hat. Wer durch die geschichtsschwere Tür mit der Hausnummer 10 geht, "wird mit jedem Schritt ein bisschen kleiner", gibt Weber zu. Einmal war er schon da, Hausherr war damals noch David Cameron. Dem musste Weber von Angela Merkel ausrichten, es gebe zu Jean-Claude Juncker als EU-Kommissionspräsident keine Alternative. Sehr erfolgreich sei die Visite damals nicht gewesen, räumt Weber ein.

Seine Mission jetzt klingt noch unmöglicher. Der CSU-Vizechef will May klarmachen, dass sie nachlegen muss. Bei den Finanzen: Erkennen die Briten ihre Verpflichtungen bei der Europäischen Investitionsbank an, in Entwicklungsfonds und bei den Pensionen? Nicht weniger wichtig: die Rechte der Bürger. Möglichst nichts solle sich ändern für jene Europäer, die schon im Königreich leben, fordert Weber. Ein zentraler Streitpunkt ist, ob sie ihr Recht auch künftig beim Europäischen Gerichtshof werden einklagen können. Weber ventiliert die Idee eines gemeinsamen Gerichts, doch solche Überlegungen hängen davon ab, ob May überhaupt Signale in Richtung Kompromiss aussendet.

Zunächst einmal spendet sie die Gunst ihrer Aufmerksamkeit, was nicht viel, aber für Weber derzeit auch nicht nichts ist. Weber spielt dieser Tage auf diversen Bühnen, und das Prestige auf der einen schadet nicht auf den anderen. Da wäre Jamaika: Von London fliegt Weber in aller Frühe weiter nach Berlin zum Finale der Sondierungen. Und da wäre natürlich Webers CSU. Seit dem 38,8-Prozent-Debakel bei der Bundestagswahl ist die Partei in Aufruhr. Im Kampf um die Nachfolge von Horst Seehofer als Vorsitzender vermeidet Weber öffentliche Interessensbekundungen. Er hat ja zu tun, in London zu Beispiel. "Ich habe eine Premierministerin erlebt, die sich der Probleme bewusst ist, die sich auch bewusst ist, dass der Brexit schwierig ist und auch Schaden verursachen wird", sagt Weber nach der 50-minütigen Teatime. Es gebe "den gemeinsamen Willen, den Schaden jetzt einzugrenzen". Er sei nun positiver gestimmt als vor dem Gespräch, sagt Weber. Warum, das wird freilich nicht recht klar. May hat sich um gute Stimmung bemüht, aber konkrete Zugeständnisse hat sie keine in Aussicht gestellt. Der Fraktionschef will, direkt vor der Tür der Premierministerin, dennoch nicht zu unfreundlich klingen. Es fehle, bestätigt Weber dann doch, immer noch an Substanz. Schlechte Aussichten, nach wie vor.

© SZ vom 16.11.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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