Brasilien:Zur Not auch aus der Zelle

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Der frühere brasilianische Präsident Lula da Silva will bei den nächsten Wahlen in dem Land erneut für das Amt antreten, obwohl er derzeit in Haft sitzt. Dagegen spricht allerdings ein "Gesetz der weißen Weste", das er einst selbst erlassen hat.

Von Boris Herrmann, Rio de Janeiro

Am Mittwoch, um 17.03 Uhr Ortszeit, war es soweit: Der berühmteste Häftling Brasiliens hat sich offiziell als Präsidentschaftskandidat registrieren lassen. Selbstverständlich in Abwesenheit. Luiz Inácio Lula da Silva, 72, Staatschef von 2003 bis 2010, will sich Anfang Oktober noch einmal wählen lassen, zur Not aus der Zelle heraus. Für Lula spricht seine ungebrochene Popularität. Obwohl er seit April wegen Korruption und Geldwäsche inhaftiert ist, liegt er in Umfragen vorne. Zehntausende Anhänger seiner Arbeiterpartei PT unterstützen seine Einschreibung in der Hauptstadt Brasília mit einem Protestmarsch, der Züge einer Wallfahrt hatte. Einige küssten Lula-Bilder, zu Tränen gerührt riefen sie: "Gebt uns unseren Präsidenten zurück, er ist unschuldig!" An dem Protest beteiligte sich auch der PT-Vizepräsidentschaftskandidat Fernando Haddad, der für Lula nachrücken könnte, falls dessen Kandidatur vom Obersten Wahlgericht abgelehnt wird. Das ist das wahrscheinlichste Szenario.

Gegen Lula spricht die Gesetzeslage. Laut dem "Lei da Ficha Limpa" kann sich niemand um öffentliche Ämter bewerben, der in zweiter Instanz verurteilt wurde. Dieses "Gesetz der Weißen Weste" hatte Lula 2010 selbst erlassen. Nun will er es außer Kraft setzen. Das Wahlgericht muss bis zum 17. September darüber entscheiden. Es wird aber erwartet, dass noch im August ein Urteil fällt. Kaum ein unabhängiger Beobachter räumt Lula dabei Chancen ein. Die Generalstaatsanwältin Raquel Dodge beantragte noch am Mittwoch eine Zurückweisung seiner Einschreibung.

Als juristisch umstritten gilt vor allem das erstinstanzliche Urteil vom Juli 2017. Dabei wurde Lula auf Basis einer dünnen Indizienlage zu neuneinhalb Jahren Haft verurteilt. Das Berufungsverfahren endete im Januar 2018 mit einer Erhöhung auf zwölf Jahre. Haftstrafen aus zweiter Instanz können in Brasilien vollstreckt werden, selbst wenn das Urteil, wie in diesem Fall, noch nicht rechtskräftig ist. Lula kann noch vor das Verfassungsgericht ziehen. Aber auch dort gelten seine Aussichten als sehr überschaubar.

© SZ vom 17.08.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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