Brasilien:Protest der Reaktionäre

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Ein Aufstand der Gerechten, ein Kampf gegen Korruption und Vetternwirtschaft ist es wohl kaum, was Brasilien da gerade erlebt. Eher ein Machtkampf: Die alten Eliten aus der Oberschicht organisieren den Protest gegen die linke Präsidentin.

Von Boris Herrmann

Ganz Brasilien geht auf die Straße, weil das Volk endlich die Nase voll hat von Misswirtschaft und Korruption. Das ist eine schöne Vorstellung, die von etlichen regierungskritischen Massenmedien auch verbreitet wird. Sie ist aber zu schön, um wahr zu sein. Fest steht, dass es am Sonntag im ganzen Land Demonstrationen für eine Amtsenthebung von Präsidentin Dilma Rousseff gab und der Hauptvorwurf lautet, sie führe die korrupteste Regierung in der Geschichte Brasiliens an. Erstaunlich viele der Korruptionsgegner trugen freilich das Fußballtrikot der brasilianischen Nationalelf mit der Nummer 10 und dem Namen Neymar. Gegen den wird gerade wegen Steuerhinterziehung und Korruption im großen Stil ermittelt.

Das ist nur einer der Gründe, weshalb man die Berichte vom Aufstand der Gerechten mit Vorsicht genießen muss. Es beginnt schon bei den Statistiken. Die Zahlen der landesweiten Demonstranten schwanken zwischen einer Million und sechs Millionen - je nachdem, wer mit welcher Absicht gezählt hat. Sehr viele Leute waren zweifellos am Sonntag auf den Straßen, aber zur vollen Wahrheit gehört auch: Circa 200 Millionen Brasilianer haben lieber etwas anderes unternommen als zu demonstrieren.

Es sind vor allem die alten Eliten aus der Mittel- und Oberschicht, welche die Proteste anführen. Jene Brasilianer, die während des linken Umverteilungskurses der vergangenen anderthalb Jahrzehnte viel zu verlieren hatten und derzeit die großen Chance wittern, Dilma Rousseff, die bis 2018 gewählte Präsidentin der Arbeiterpartei, vorzeitig aus dem Amt zu jagen. Dazu scheint jedes Mittel recht zu sein. Nicht zu übersehen waren am Sonntag auch Forderungen wie "Weg mit dem Kommunismus" oder "Militärschlag jetzt".

Die alte Machtelite mobilisiert gegen Präsidentin Rousseff

Es wurden auch wieder aufgeblasene Puppen von Rousseff und ihrem Amtsvorgänger Lula da Silva hochgehalten, beide in Sträflingsuniform. Ihnen wird vorgeworfen, in das kriminelle Netzwerk um den halbstaatlichen Erdölkonzern Petrobras verstrickt zu sein. Inwieweit das stimmt, wird gerade ermittelt. Noch ist die Beweislage übersichtlich. Den zuletzt gegen Lula vorgebrachten Antrag auf Untersuchungshaft halten selbst hartnäckige Regierungsgegner für extrem dünn begründet.

Sobald Rousseff oder ihrem Mentor Lula, der mit einer Rückkehr ins höchste Staatsamt liebäugelt, etwas Konkretes nachgewiesen werden kann, wäre die Ära der Arbeiterpartei beendet. Darauf will die Opposition allerdings nicht warten, wohl wissend, dass einige ihrer eigenen Führungsfiguren auch im Visier der Petrobras-Ermittler sind. Rousseffs Gegner hoffen, durch ihre Beteiligung an den Protesten dem zuletzt ins Stocken geratenen Amtsenthebungsverfahren gegen die Präsidentin neuen Schub zu geben. Es geht hier weniger um den Kampf gegen Korruption als um ein politisches Machtgerangel.

Brasilien befindet sich in der tiefsten Rezession seit 1930. Die Arbeiterpartei stand lange Zeit für den Traum von einem blühenden Wohlfahrtsstaat. Der Traum ist geplatzt, und das liegt neben dem Verfall der Rohstoffpreise auch an den Versäumnissen Rousseffs. Schlechte Regierungsarbeit rechtfertigt aber keine Amtsenthebung, in reifen Demokratien würde man den Fall bei der nächsten Wahl klären.

Im Moment aber deutet wenig darauf hin, dass die Präsidentin so lange durchhält. Ihr wichtigster Koalitionspartner, die PMDB, droht mit dem Bruch. Wenn Rousseff stürzt, würde Vizepräsident Michel Temer nachrücken. Er repräsentiert eine korruptionserfahrene PMDB, die alle von Rousseff angestoßenen Gesetze zur Krisenbekämpfung blockiert. Seine Strategie besteht darin, der Präsidentin zu schaden, um selbst an die Macht zu gelangen. Den Schaden für das Land nimmt er in Kauf.

© SZ vom 15.03.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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