Brasilien:Massaker im Gefängnis

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Enthauptet und erstickt: Kämpfe zwischen rivalisierenden Banden in einer brasilianischen Strafanstalt fordern 57 Tote. Seit Januar 2017 ist es in verschiedenen Haftanstalten zu mindestens sechs solcher Massaker gekommen.

Von Benedikt Peters, München

Der Aufstand in der Haftanstalt Altamira im Staat Pará war einer von vielen in Brasiliens Gefängnissen. (Foto: Social Media/Reuters)

Am Tag danach war das Massaker schon keine große Nachricht mehr. Zumindest die Folha de São Paulo, die renommierteste Zeitung Brasiliens, beschäftigte sich auf ihrer Startseite längst wieder mit anderen Dingen, mit den umstrittenen Plänen von Präsident Jair Bolsonaro etwa, der seinen Sohn als Botschafter in die USA schicken möchte. Es wirkt, als sei die brasilianische Öffentlichkeit müde, all diese Bluttaten in den Gefängnissen. Am Montag war es im nördlichen Bundesstaat Pará wieder zu einem dieser Massaker gekommen. In der Haftanstalt Altamira waren Häftlinge aufeinander losgegangen, am Ende waren 57 Menschen tot. 16 von ihnen wurden auf grausame Weise enthauptet. Die anderen 41 erstickten bei einem Brand, den einige der Häftlinge gelegt hatten.

Das Massaker ist der nächste, traurige Höhepunkt einer Krise, die Brasiliens Gefängnisse seit Jahren erschüttert. Allein seit Januar 2017 ist es in verschiedenen Haftanstalten zu mindestens sechs solcher Bluttaten gekommen, bei denen nach offiziellen Zahlen 227 Menschen getötet wurden. Und auch davor waren sie keine Seltenheit. Im Netz kursieren grausame Videos von Enthauptungen und Zerstückelungen, sogar von Kannibalismus ist die Rede. Betroffen sind vor allem die nördlichen Bundesstaaten Brasiliens, Pará, Amazonas und Rio Grande do Norte etwa, wo die Bevölkerung ärmer ist als im Süden. Es kam aber auch schon zu Aufständen und Meutereien in Großstadt-Gefängnissen, etwa in São Paulo oder in Belo Horizonte.

Die Überbelegung ist eine Folge extrem harter Gesetze gegen Drogenbesitz und Drogenhandel

Der wesentliche Grund für die immer wieder ausbrechende Gewalt liegt darin, dass der Staat in den Gefängnissen längst die Kontrolle verloren hat. Das Sagen haben dort stattdessen Drogenbanden. Inhaftierte Bosse führen ihre Geschäfte häufig aus der Zelle heraus weiter. Die Mitglieder rivalisierender Drogengangs werden in ein und demselben Gefängnis eingesperrt, neue Häftlinge schließen sich zudem einer Gang an, um zu überleben. So war es auch beim Blutbad von Montag in Altamira. Dort gingen Mitglieder des "Roten Kommandos", einem aus Rio stammenden Drogenkartell, und Anhänger des regionalen "Kommandos Klasse A" aufeinander los. Das "Kommando Klasse A" hatte sich kürzlich mit einem anderen Kartell verbündet, das wiederum einer der Hauptrivalen des "Roten Kommandos" ist.

Nicht nur wegen der Herrschaft der Gangs ist der brasilianische Strafvollzug seit Jahren in einem desolaten Zustand. Die Gefängnisse sind heillos überfüllt, etwa 708 000 Menschen sollen einsitzen, die Gefängnisse aber haben nur eine Kapazität für 416 000. Per Gesetz stehen jedem brasilianischen Häftling eigentlich sechs Quadratmeter Platz zu, in der Praxis aber werden mehrere Insassen in enge Zellen gepfercht. Die Überbelegung ist unter anderem eine Folge extrem harter Gesetze gegen Drogenbesitz und Drogenhandel. Sie führt dazu, dass Konsumenten und Kleindealer häufig viele Jahre ins Gefängnis müssen, ohne dass es ausreichend Platz für sie gäbe. Verschärft wird das Problem durch Untersuchungshäftlinge, die wegen überlasteter Gerichte oft jahrelang auf ihren Prozess warten.

All das ist nicht nur dem amtierenden Präsidenten Bolsonaro anzulasten, auch seine Vorgänger haben nichts gegen die verheerenden Zustände getan. Es ist aber auch nicht zu erwarten, dass der Amtsinhaber etwas daran ändern wird. Bisher zumindest hat Bolsonaro nichts unternommen, und vor seiner Zeit als Staatschef sagte er: "Unsere Gefängnisse sind wunderbar. Das sind schließlich keine Sommerferienlager."

© SZ vom 31.07.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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