Brasilien:Lula wechselt den Ersatzmann ein

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Fernando Haddad war akademischer Superstar, dann Minister und Bürgermeister in São Paulo. (Foto: Eraldo Peres/AP)

Fernando Haddad kandidiert statt des inhaftierten Ex-Präsidenten. Sein Problem: Er ist selbst unter Wählern der eigenen Partei kaum bekannt.

Von Boris Herrmann, Rio de Janeiro

Auf dem Vorplatz des Gebäudes der Bundespolizei in der südbrasilianischen Stadt Curitiba hat Fernando Haddad seinen bislang größten Karrieresprung gemacht. Die linksgerichtete Arbeiterpartei PT kürte ihn dort am Dienstag offiziell zu ihrem Präsidentschaftskandidaten - allerdings weniger aus Überzeugung, denn als Ausdruck ihres Protests. In dem Polizeigebäude befindet sich jene Zelle, in der seit 150 Tagen der ehemalige Staatspräsident und unumstrittene PT-Übervater Luiz Inácio Lula da Silva sitzt, verurteilt zu zwölf Jahren Haft wegen Korruption.

Umfragen zufolge würde Lula, 72, die Wahl im Oktober immer noch haushoch gewinnen, wenn er denn antreten dürfte. Aber nach 17 vergeblichen juristischen Versuchen, seinen höchst umstrittenen Ausschluss anzufechten, zog Lula nun im letzten Moment seine Kandidatur zurück und bestimmte seinen Ersatzmann. Andernfalls wäre die PT ohne Präsidentschaftsbewerber dagestanden. Bei der Zeremonie in Curitiba wurde ein Brief des berühmten Häftlings verlesen. Zentrale Botschaft: Lula ist jetzt Haddad.

Haddad will Brasiliens Präsident werden - und kommt derzeit auf nur neun Prozent

Mit diesem Empfehlungsschreiben, so der Plan, soll Haddad nun in kürzester Zeit ein kleines Wunder gelingen: die Rückkehr der PT an die Macht, die sie 2016 durch das fragwürdige Amtsenthebungsverfahren gegen Lulas Nachfolgerin Dilma Rousseff verlor. Haddad liegt dreieinhalb Wochen vor dem ersten Wahlgang bei rund neun Prozent, hat aber zweifellos das größte Wachstumspotenzial aller Kandidaten. Er setzt auf die Stimmen der verhinderten Lula-Wähler. Aber ob das reicht, um den rechtsextremen Jair Bolsonaro einzuholen, der seit der Messerattacke von vergangener Woche in den Umfragen noch einmal zulegte, ist keinesfalls sicher. Zumal weitere linke oder halblinke Bewerber wie Ciro Gomes oder Marina Silva um die Gunst der Lula-Sympathisanten werben. Die attackieren Haddad an seiner Schwachstelle: mit dem Vorwurf, er lasse sich von einem Gefängnisinsassen steuern.

Fernando Haddad, 55, war bislang als PT-Vizepräsidentschaftskandidat nominiert, obwohl im Grunde seit Wochen klar ist, dass Lula nicht würde antreten dürfen. Bei seiner Kür protestierte auch Haddad gegen "das Unrecht", das dem PT-Anführer widerfahre, gleichzeitig war ihm die Erleichterung anzumerken, dass er nun endlich seine persönliche Kampagne beginnen kann. "Es ist Zeit, auf die Straßen zu gehen und die Wahl zu gewinnen", rief er.

Seine Straßentauglichkeit muss Haddad aber erst noch beweisen. Im Gegensatz zu seinem Mentor Lula stammt er nicht aus der Gewerkschaftsbewegung, ihm fehlt der Stallgeruch innerhalb der PT. Viele Genossen fremdeln mit diesem Linksintellektuellen. Haddad war ein hoch angesehener Politologe an der Universität von São Paulo. Seine Vorlesungen über Montesquieu und Karl Marx machten ihn dort zu einem akademischen Superstar. 2005 wurde er von Lula zum Bildungsminister ernannt; ein Job, den er zunächst auch in der Regierung Rousseff ausübte. 2012 stellte er sich erstmals als Politiker zur Wahl und wurde prompt Bürgermeister von São Paulo, der größten Stadt Südamerikas.

Für die 20-Millionen-Metropole, die sich an ihre ewigen Staus gewöhnt hatte, entwickelte Haddad ein innovatives Verkehrskonzept, das in aller Welt gelobt wurde. Dazu gehörte vor allem ein riesiges Radwege-Netz. Die Stadt hat es ihm nicht gedankt und wählte ihn nach vier Jahren wieder ab. Haddad sagte einmal, er habe sich wohl zu sehr auf die politischen Inhalte und zu wenig um den Wahlkampf gekümmert. Auch das stieß in der PT auf Unmut, schließlich wird er nun vor allem als Wahlkämpfer gebraucht.

Haddads Hauptproblem ist jedoch, dass er im weitläufigen und ärmlichen Nordosten des Landes, im ehemaligen Stammgebiet Lulas also, weitgehend unbekannt ist. Viele PT-Wähler kennen dort nicht einmal seinen Namen, in Befragungen nannten ihn einige "Andrade", was in Brasilien so ähnlich wie Haddad ausgesprochen wird. Die größtenteils konservativen Massenmedien machen sich seither über diesen Andrade lustig.

Haddad hat noch 25 Tage Zeit, um dem Land zu zeigen, wer er wirklich ist. Er muss dabei Lula sein - und sich gleichzeitig von Lula emanzipieren.

© SZ vom 13.09.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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