Brasilien:Göttliche Komödie

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In einem an Absurditäten reichen Prozess entgeht der brasilianische Präsident Michel Temer der Amtsenthebung - vorerst.

Von Boris Herrmann, Rio de Janeiro

Hauptdarsteller im Polittheater: Brasiliens Präsident Michel Temer. (Foto: Igo Estrela/Getty Images)

An der absurdesten Stelle in einem absurden Prozess verglich der Richter Napoleão Nunes Maia den brasilianischen Präsidenten Michel Temer mit Jesus - und sich selbst mit Pontius Pilatus. Dieser "weise, aber schwache" Mann habe einst einen Unschuldigen ans Kreuz nageln lassen, "weil die Meute es so wollte", sagte Nunes Maia in seiner Erklärung, mit der er sein Votum für den Freispruch Temers begründete. Jesus, Pontius Pilatus und Napoleon - man muss sich nicht wundern, weshalb die meisten Beobachter dieses Verfahrens vor dem Obersten Wahlgericht bloß als einen weiteren Akt in einem unendlichen Polittheater interpretieren.

Die Meute, oder gepflegter ausgedrückt: das brasilianische Volk, hätte tatsächlich nichts dagegen gehabt, wenn Temer sein Amt entzogen worden wäre. Seine Umfragewerte sind stabil unterirdisch, seit er 2016 in einem parlamentarischen Staatsstreich, der als Amtsenthebungsverfahren verkleidet war, die gewählte Präsidentin Dilma Rousseff beerbte. Insofern hatte Napoleão Nunes Maia natürlich recht: Die Aufgabe des Wahlgerichts war es nicht, über Temers Popularität zu urteilen, sondern über die Frage seiner Schuld. Alle Richter des Wahlgerichtshofs, die ihn nun mit 4 zu 3 Stimmen freisprachen, waren sich zwar einig, dass es diesbezüglich schlecht aussieht für den Amtsinhaber. Die Beweislage ist erdrückend, dass sein Wahlkampf im Jahre 2014 mit Schmiergeld finanziert wurde. Das geht aus übereinstimmenden Kronzeugenaussagen der damaligen Kampagnenmanager sowie von Top-Funktionären des Baukonzerns Odebrecht hervor. Vier Richter, darunter Nunes Maia, weigerten sich allerdings, diese Beweise in ihr Urteil einfließen zu lassen. Kritiker sprechen deshalb von einem Prozess nach dem Vogel-Strauß-Prinzip. Das Gericht habe nicht sehen wollen, was offensichtlich ist und stattdessen den Kopf in den Sand gesteckt. In brasilianischen Medien ist von einem abgekarteten Spiel die Rede. Der Vorsitzende des Wahlgerichts, Gilmar Mendes, bezeichnet sich öffentlich als Freund Temers, Nunes Maia wird selbst von Kronzeugenaussagen belastet, und die beiden übrigen Richter, die nun für die Absolution des Präsidenten stimmten, wurden erst vor wenigen Wochen von dem Angeklagten eingesetzt.

Temer hatte 2014 als Vizepräsident an der Seite seiner heutigen Erzfeindin Rousseff von der linken Arbeiterpartei kandidiert. Das jetzt abgeschlossene Verfahren wurde unmittelbar nach der Wahl von der damals unterlegenden konservativen Partei PSDB angestrengt. Seit dem Impeachment gegen Rousseff regiert Temer aber mit der PSDB zusammen. Das dürfte auch der Grund sein, warum die Konservativen jetzt streiten, ob sie in Berufung gehen sollen - sie würden sich im Fall einer Verurteilung Temers selbst aus der Regierung schießen. Eine seltsame Rolle spielt in dieser Schmierenkomödie auch Mendes. Als es in dem Verfahren noch in erster Linie um die Absetzung Rousseffs ging, hatte er jene Zeugenaussagen persönlich beantragt, die er nun für unzulässig einstufte.

Temer, 76, steht vor einer ungewissen Zukunft. Auch der Oberste Gerichtshof ermittelt gegen ihn, dabei geht es um mutmaßliches Bestechungsgeld eines Fleischkonzerns. So lange Temer im Kongress die Mehrheit hat, kann er dieses Verfahren politisch blockieren. Diesbezüglich droht ihm aber die größte Gefahr. Die PSDB will am Montag beraten, ob sie mit der Regierung bricht.

© SZ vom 12.06.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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