Wahl in Brasilien:Der Häftling und der Patient

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Kann er den Rechtsruck verhindern? Der linke Präsidentschaftskandidat Fernando Haddad. (Foto: Mauro Pimentel/AFP)
  • Diesen Sonntag wählt Brasilien einen neuen Präsidenten.
  • Ein wichtiger Kandidat sitzt im Gefängnis und schickt einen Ersatzmann im Rennen, der andere liegt nach einem Messerangriff auf der Intensivstation.
  • Der linke Politiker Fernando Haddad scheint der einzige zu sein, der den ultrarechten Waffennarren Jair Bolsonaro noch stoppen kann.

Von Boris Herrmann, Rio de Janeiro

Wahl in Brasilien, das ging bisher so: Der Mann, der monatelang alle Umfragen für die Präsidentschaftswahl anführt, wird verhaftet. Ein Richter hat ihn auf Basis von sehr dünnen Indizien zu einer langjährigen Gefängnisstrafe verurteilt. Dann wird der Mann, der in den Umfragen auf dem zweiten Platz liegt, von einem verwirrten Messerstecher lebensgefährlich verletzt. Der Häftling und der Patient lassen sich aber nicht unterkriegen. Der eine, Ex-Präsident Luiz Inácio Lula da Silva, bestimmt einen Ersatzmann und koordiniert jeden Schritt von der Zelle aus. Der andere, Jair Bolsonaro, führt seine Kampagne per Twitter von der Intensivstation fort. Beide sind dabei so erfolgreich, dass sich niemand mehr für die anderen Kandidaten interessiert.

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Es muss sich niemand wundern, dass die größte Demokratie Lateinamerikas am Vorabend der Präsidentschaftswahl in ihren Fundamenten wackelt. Wenn die Meinungsforscher nicht komplett daneben liegen, dann wird der Patient Jair Bolsonaro, 63, den ersten Wahlgang am Sonntag mit komfortablem Vorsprung gewinnen. Und Fernando Haddad, 55, der Stellvertreter des Häftlings Luiz Inácio Lula da Silva, wird ihm in die Stichwahl folgen. Dort dürfte es dann zu einem stark polarisierten Hassduell zwischen Links und Recht kommen.

Auf der einen Seite stehen die Anhänger von Lulas Partei PT, die nach dem wirtschaftlichen Niedergang Brasiliens und der Aufdeckung eines gigantischen Korruptionsnetzwerks fast schon in die Bedeutungslosigkeit abzurutschen schien. Zuletzt hat sie aber eine Art zweite Luft bekommen, weil sie sich glaubwürdig als Opfer einer politischen Justiz inszenieren konnte. Auf der anderen Seite steht der ehemalige Hauptmann der Militärdiktatur Jair Messias Bolsonaro, der eine Anti-Demokratie-Stimmung schürt. Sein erklärtes Ziel ist die politische Vernichtung der Linken. Seine Mittel sind die Androhung von Gewalt, die Diskriminierung von Minderheiten, die Verhöhnung demokratischer Spielregeln sowie eine beispiellose Lügenindustrie in den sozialen Netzwerken. Das geht bis hin zu den bizarrsten Behauptungen.

Lulas Einfluss auf die Stimmungslage in Brasilien sollte aber niemand unterschätzen. Er war zwischen 2003 und 2010 der beliebteste Präsident in der Geschichte dieses Landes, und auch als 72-jähriger Gefängnisinsasse hätte er die anstehende Wahl wohl haushoch gewonnen - wenn ihn die Justiz nicht ausgebremst hätte. In den vergangenen drei Wochen seit seinem offiziellen Rückzug von der Kandidatur ist es ihm gelungen, einen Großteil seiner potenziellen Stimmen auf den bis dahin weitgehend unbekannten Fernando Haddad zu übertragen. Die Botschaft lautete: Er ist jetzt ich. Aber ob das reicht, um Bolsonaro zu verhindern, bleibt fraglich.

Spitzenverdiener und Finanzmärkte jubeln dem ultrarechten Waffennarren zu

In Brasilien herrscht Wahlpflicht, eine Mehrheit der Wähler aus der komplett orientierungslosen politischen Mitte wird wohl spätestens in der Stichwahl nicht mehr für eine Überzeugung stimmen können, sondern nur noch für das aus ihrer Sicht geringere Übel. Und da spricht die Tendenz der jüngsten Erhebungen eher für den ultrarechten Waffennarren und Diktaturfreund. Das ist so bizarr wie es klingt, hat aber ganz konkrete Gründe.

Bolsonaro erhält von allen Seiten Wahlkampfhilfe, weit jenseits seines radikalen Stammklientels. Weil er im Gegensatz zu Haddad eine Privatisierungswelle verspricht, wird er von Großunternehmern, Spitzenverdienern und den Finanzmärkten unterstützt, jeder Prozentpunkt in den Umfragen führt zu euphorischen Kurssprüngen der Landeswährung Real. Bolsonaros rassistische Ausfälle, seine Homophobie, seine Frauenfeindlichkeit? Sind den Märkten offenbar egal.

Aber auch viele der ärmsten Brasilianer aus den Favelas wollen ihn wählen, weil die dort sehr einflussreichen evangelikalen Kirchen für den Katholiken Bolsonaro Stimmung machen. Ein Verbot der Abtreibung und der Homo-Ehe ist in diesen Milieus offenbar wichtiger als eine Erhöhung des Mindestlohns. Schließlich trägt auch die vermeintliche politische Mitte ihren Teil zum Bolsonaro-Momentum bei. Geraldo Alckmin, der weit abgeschlagene Kandidat der liberal-konservativen PSDB, verwendet einen Großteil seiner TV-Kampagne darauf, Lulas PT zu verteufeln. Seine Anhänger dürften in einer Stichwahl eher nach Rechtsaußen als nach Links schwenken.

Es ist immer noch unwahrscheinlich, aber auf einmal gar nicht mehr komplett undenkbar, dass der zweite Wahlgang am 28. Oktober ausfällt, weil Bolsonaro schon im ersten Durchgang die absolute Mehrheit erreicht. Falls Haddad am Ende doch gewinnen sollte, dann wissen Bolsonaros Twitter-Follower längst, dass es sich nur um Fälschung handeln kann. Er werde kein anderes Ergebnis als seinen Wahlsieg akzeptieren, verkündete der Patient.

© SZ vom 06.10.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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