Großbritannien:Wie lange noch?

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Kann er Partygate einfach aussitzen? Boris Johnson bei einer Pressekonferenz zum Coronavirus. (Foto: Tolga Akmen/dpa)

Möglicherweise noch eine ganze Weile: Warum sich im Fall Johnson nun ausgerechnet die Metropolitan Police und der lange angekündigte Untersuchungsbericht im Weg stehen.

Von Michael Neudecker, London

Boris Johnson trägt in letzter Zeit wieder häufiger Warnweste und Bauhelm, weil er irgendwo eine Baustelle besichtigt. Immer wieder ist er auch in Krankenhäusern anzutreffen. Jedes Mal spricht Johnson mit den anwesenden Fernsehreportern, um zu sagen, dass er die Party-Vorwürfe nicht kommentieren könne, leider, bitte haben Sie Verständnis, die Ermittlungen laufen. Danach weist er stets auf die seiner Meinung nach wirklich wichtigen Dinge hin, nämlich das, was diese Regierung bereits erreicht habe, die Impfungen, das Wirtschaftswachstum, und so weiter. Die Details stimmen dabei selten, aber wen interessieren schon Details. Manchmal dementiert er auch noch einen neuen Vorwurf.

Am Donnerstag, als er den Standort eines geplanten Atomkraftwerks in Wales begutachtete, wurde Johnson zu einer E-Mail aus dem Außenministerium befragt, die dieser Tage öffentlich geworden war. Die Mail scheint zu bestätigen, dass Johnson während der Evakuierung aus Kabul die Priorisierung von 173 Hunden und Katzen einer Charity-Organisation autorisiert haben soll. "Total rhubarb" sei das, sagte Johnson. Rhubarb heißt übersetzt nicht nur "Rhabarber", sondern auch "Blödsinn".

Boris Johnsons Umfragewerte sind inzwischen derart miserabel, dass sie selbst die Rekord-Tiefwerte von Theresa May unterbieten

Man kann nicht sagen, dass Boris Johnson sich in dieser schwierigsten Phase seiner Amtszeit versteckt, fast täglich steht er vor irgendeinem Mikrofon. Er ist jetzt wieder ganz in seiner Lieblingsrolle: im Wahlkampfmodus.

Landesweite Wahlen sind zwar erst 2024 wieder, aber Johnsons Umfragewerte sind inzwischen derart miserabel, dass sie selbst die Rekord-Tiefwerte von Theresa May unterbieten. Praktisch täglich wird er zum Rücktritt aufgefordert. Gleichzeitig formieren sich die Unterstützer um den kämpfenden Johnson, weshalb die Frage, um die sich derzeit in Westminster alles dreht, wieder völlig offen ist. Die Frage lautet: Wie lange noch?

Das Kalkwerk: Boris Johnson (im Fahrerstand, mit Helm) am Donnerstag in Wales beim Besuch einer Kalkgrube, wo er sich unter anderem sehr große Fahrzeuge zeigen ließ. (Foto: Peter Byrne/AFP)

Johnson versucht derzeit alles, um so viele der 359 Tory-Abgeordneten im Unterhaus wie möglich wieder auf seine Seite zu ziehen, damit sie die Misstrauensbriefe, die angeblich einige schon als Entwürfe in ihren E-Mail-Programmen gespeichert haben sollen, wieder löschen. Für die meisten Abgeordneten dürfte allerdings weniger ihre persönliche oder politische Haltung zu Johnson eine Rolle spielen, sondern eher ein schwer aufzulösender innerer Zwiespalt: Bringen sie Johnson mit einem Misstrauensvotum zu Fall, ob mit oder ohne Bericht, könnten sie weiterregieren, ohne permanent auftauchende Skandale und Anschuldigungen. Nur, die Opposition würde dann nach Neuwahlen schreien, so laut sie kann. Und falls die Öffentlichkeit dem folgen sollte, wäre die Wahrscheinlichkeit groß, dass es vorbei wäre mit dem Regieren.

Es ist gut möglich, dass es noch Wochen dauert, ehe ein Bericht zu all den Party-Anschuldigungen vorgelegt wird

Ein Zwiespalt kann manchmal zu Untätigkeit führen, vermutlich weiß das auch Keir Starmer, der Oppositionsführer. Er wiederholte daher am Freitag bei einem Fernsehinterview erneut seine Rücktrittsforderung und betonte, der Untersuchungsbericht von Sue Gray müsse bald und vor allem vollständig veröffentlicht werden. Gray, die Beamtin des Kabinettsbüros, die im Dezember mit der Untersuchung beauftragt worden ist, wollte ihre Ergebnisse eigentlich diese Woche vorstellen. Seit Dienstag aber ermittelt auch die Metropolitan Police in Sachen "Partygate", mehrere Zusammenkünfte während der Lockdowns werden auf Regelverstöße hin untersucht. Am Freitag, kurz vor Starmers Interview, teilte die Polizei mit, Gray könne ihren Bericht unabhängig vom Ermittlungsergebnis der Behörden publizieren, allerdings ohne Hinweise auf jene Versammlungen, die auch von der Polizei untersucht werden. Sonst bestünde, so schrieb die Polizei, die Gefahr einer "Vorverurteilung".

Grays Report aber wäre wertlos ohne jene Ereignisse, bei denen die Covid-Regeln gebrochen worden sein sollen. Und ein Dokument, in dem die Anschuldigungen fehlen, um die es seit Wochen geht, sähe aus wie ein frisierter Bericht.

Mehrere fachkompetente Anwälte kritisierten die eigenartige Mitteilung der Polizei. Nazir Afzal, ehemaliger Staatsanwalt für den Nordwesten, schrieb auf Twitter, dies sei "absoluter Unsinn", ein "rein faktischer Report von Sue Gray kann eine polizeiliche Untersuchung nicht vorverurteilen". Stattdessen ändere dies nichts daran, dass die Polizei lediglich "der Beweislage folgen muss, zu der Grays Report auch gehört". Es ist gut möglich, dass die neueste Wendung nun dafür sorgt, dass es noch Wochen dauert, ehe ein Bericht zu all den Party-Anschuldigungen vorgelegt wird.

Wie lange noch? Boris Johnson hat durch die Tatsache, dass die Polizei wegen Anschuldigungen gegen ihn und seine Mitarbeiter ermittelt, nun tatsächlich Zeit gewonnen.

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