Geheimdienst:Die Vorliebe des BND für illegales Schnüffeln im Inland

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Ein bewegtes Leben hatte Reinhard Gehlen (1902-1979), hier 1975, ohne Zweifel. Wehrmachtsgeneral, Chef der Abteilung Fremde Heere Ost, nach 1945 Aufbau der Organisation Gehlen, 1956-1968 Präsident des BND. (Foto: picture-alliance / Sven Simon)
  • Der Historiker Klaus-Dietmar Henke legt einen Band vor, in dem die Anfänge des Bundesnachrichtendienstes (BND) dokumentiert sind.
  • Die von dem Ex-Nazi Gehlen aufgebaute Geheimdienst der jungen Bundesrepublik schnüffelte nicht nur im Ausland, sondern auch illegal im Inland.
  • Unter anderem wurden Sozialdemokraten, Journalisten wie der SZ-Chefredakteur Friedmann und der Schrifsteller Kästner bespitzelt.

Rezension von Norbert Frei

Zwischen den Anfängen im Nachkriegsbayern und der Umzugsfeier in Berlin, wo der Bundesnachrichtendienst kürzlich seine gewaltige neue Zentrale bezog, liegt zeitlich die Spanne eines Menschenlebens.

Inhaltlich liegt dazwischen die Transformation einer in wirklich jeder Hinsicht dubiosen "Organisation Gehlen" in einen parlamentarisch kontrollierten Auslandsgeheimdienst, der "Transparenzoffensiven" unternimmt und dessen Arbeit die Bundeskanzlerin als "unverzichtbaren Beitrag für die Sicherheit und den Frieden in Deutschland" preist.

Teil der seit Langem laufenden Bemühungen des BND, seinen unter Generalmajor a. D. Reinhard Gehlen, dem ersten Präsidenten, redlich erworbenen schlechten Ruf abzustreifen, war 2011 die Einsetzung einer Unabhängigen Historikerkommission, die bereits eine Fülle beachtlicher Studien vorgelegt hat. Nun präsentiert Klaus-Dietmar Henke, der Sprecher der Kommission, in seinem Werk über die Anfänge der "Org" den wohl trübsten Part der Geschichte.

Es ist die mitunter atemverschlagende Lügenstory des ebenso engstirnig-autoritären wie besessen antikommunistischen vormaligen Chefs der Abteilung Fremde Heere Ost im Oberkommando des Heeres, der sich im April 1945 nahe der "Alpenfestung" von den Amerikanern gefangen nehmen ließ, der sich seit 1946 beim Geheimdienst der US Army mit ein paar Getreuen als "Utility" nützlich machen durfte - und der mit seinem seitdem aufgebauten, von Beginn an übergriffigen System der Inlandsspionage die Entwicklung einer liberalen Demokratie in Deutschland nach Kräften zu verhindern suchte.

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Wie weit aber reichten die Kräfte des "Dr. Schneider"? Gehlen selbst hat nach seinem glanzlosen Ende als BND-Chef 1968 alles versucht, der ihm nun endlich direkt zugänglichen Öffentlichkeit ein glorioses Bild seines jahrzehntelangen klandestinen Wirkens zu vermitteln.

"Der Dienst", seine 1971 erschienenen Memoiren, gerieten dem Pensionär zu einem im doppelten Sinne märchenhaften Bestseller, der sich nicht zuletzt als Kampfschrift gegen die Neue Ostpolitik verstand und dessen Wahrheitsgehalt Rolf-Dieter Müller im Rahmen der Kommissionsforschungen bereits in einer zweibändigen Biografie zurechtgerückt hat.

Henkes nicht minder umfangreiche Darstellung - allein der jetzt vorliegende erste Teil umfasst mehr als 800 Seiten - konzentriert sich auf die dickste und dauerhafteste Lüge aus dem Reich mit den vielen Namen: die Behauptung nämlich, "Org" oder "Zipper" oder "Odeum", seit 1956 schließlich der BND, habe als Auslandsgeheimdienst mit Inlandsaufklärung nie etwas am Hut gehabt.

Tatsächlich waren Gehlens Mannen auf heimatlichem Territorium schon seit dem Winter 1946/47 aktiv, als sich ihr Aktionsradius im Wesentlichen noch auf Bayern beschränkte.

Gehlens "Subversionsphobie" (Henke) muss geradezu ansteckend gewirkt haben. Mit seinen Warnungen vor angeblich allgegenwärtigen, auch in die Polizei reichenden kommunistischen Unterwanderungsbestrebungen gelang es ihm jedenfalls rasch, im konservativen München Kontakte zu knüpfen.

Seine Erkenntnisse über die "KPD in Hintertupfing" - ein seltener Anflug von Selbstironie in den Akten der "Org" - und seine Bespitzelung vieler, die es als Schriftsteller (wie Erich Kästner) oder als Journalisten (wie Werner Friedmann von der Süddeutschen Zeitung) mit der neuen Demokratie allzu ernst zu nehmen schienen, verschafften Gehlen Zugang bis in die Spitzen der bayerischen Staatsregierung.

Von dort ging es Anfang 1950 mit Ministerialdirektor Hans Ritter von Lex ("Sonderverbindung J-1814") weiter nach Bonn, wo dessen Ex-Kollege aus dem Reichsinnenministerium Hans Globke bereits im Kanzleramt saß.

Das Ziel: Kanzler Adenauer mit Erkenntnissen über seine Gegner zu munitionieren

Mit Globke ins Gespräch zu kommen und über diesen schließlich auch zu Adenauer vorgelassen zu werden, erwies sich für Gehlen gleichwohl als nicht einfach. Der Mann aus Pullach, dessen Organisation die CIA unterdessen von der US Army übernommen hatte, stand immerhin im Sold einer auswärtigen Macht!

Auch wenn sich der "Doktor" selbst als Vertreter ausschließlich deutscher Interessen, vor allem jener der Wehrmacht, sah und seinen Geldgebern mehr als einmal mit aufreizendem Nationalismus kam: In Bonn war man sich darüber im Klaren, dass hinter Gehlen amerikanische Aufpasser horchten.

Das lang herbeigesehnte Treffen mit dem Bundeskanzler verschaffte ihm deshalb bezeichnenderweise erst eine Einladung von Kurt Schumacher, mit dem er sich - gewissermaßen von Antikommunist zu Antikommunist - blendend verstand. Als Globke von Gehlens Verabredung mit dem SPD-Chef erfuhr, kam der Termin im Kanzleramt sofort zustande.

Wenn Gehlen für etwas glühte, dann war es die illegale Inlandsaufklärung - also just das Gegenstück zu dem, worin die Zukunft seiner Organisation in der Bundesrepublik vielleicht einmal würde liegen können. Den Kanzler mit Erkenntnissen über seine Gegner im Innern zu munitionieren - Sozialdemokraten und Gewerkschafter, Neutralisten und Friedensfreunde, Gegner einer Wiederbewaffnung, Linke wie Liberale -, darin erblickte "Dr. Schneider" seine Aufgabe.

Globke nahm derlei Informationen, auch wenn es sich oft genug nur um Verdächtigungen und Verleumdungen handelte, gerne entgegen. Doch Gehlens Hoffnung, sich damit für das bald zu besetzende Amt des Verfassungsschutzpräsidenten zu empfehlen, erfüllten sich nicht. Und schlimmer noch: In Bonn bauten sich mit Friedrich Wilhelm Heinz' "Bundesnachrichtendienst" und Adenauers Sicherheitsberater Graf von Schwerin ernst zu nehmende Konkurrenten auf, deren "Abschuss" durch die "Org" große Kräfte band.

Zeit, mit dem Nachrichtenmagazin Der Spiegel zu mauscheln, wo man den Pullachern nach deren Eindruck "immer maßlos anständig" begegnete, fand sich trotzdem oder gerade deshalb; mit Redakteur Horst Mahnke, vormals SS-Hauptsturmführer im Reichssicherheitshauptamt und Experte für diverse Formen der Gegnerbekämpfung, war man im Gleichklang. Auch dem Institut für Zeitgeschichte (IfZ) war die "Org" in ihren Anfangsjahren eng verbunden.

Klaus-Dietmar Henke: Geheime Dienste. Die politische Inlands- spionage der Organisation Gehlen 1946-1953. Ch. Links Verlag, Berlin 2018. 816 Seiten, 60 Euro. E-Book: 29,99 Euro. (Foto: N/A)

Dies nicht nur, weil man sich in der Münchner Reitmorstraße eine Sechszimmerwohnung teilte, in der die NS-Zeit erforscht, durch den "Strategischen Dienst" der "Org" aber auch das gegenwärtige Europa ausgeforscht werden sollte; Übereinstimmungen ergaben sich überdies im Politischen, denn Gerhard Kroll, der bald gefeuerte Gründungsdirektor des heutigen IfZ, versuchte, aus dem Institut ein Organisationszentrum der katholisch-konservativen Abendland-Bewegung zu machen. Und mit den Generälen Speidel und Foertsch, der eine im Wissenschaftlichen Beirat des Instituts, der andere im Mitarbeiterstab, waren auch über die Zeit von Kroll hinaus die Belange der Wehrmacht prima abgedeckt.

Klaus-Dietmar Henke hat mit seiner minutiösen, nie um ein klares Urteil verlegenen Studie ein eindrucksvolles Panorama geheimdienstlicher Unglaublichkeiten aus der Vor- und Frühzeit der Bundesrepublik entfaltet, das unseren Sinn für die nicht eben günstigen Umstände der zweiten Demokratiebegründung in Deutschland noch einmal schärft.

Sein angekündigter zweiter Band, der Gehlens illegale innenpolitische "Aufklärungsarbeit" durch die Hochzeit der Ära Adenauer weiterverfolgt, wird hoffentlich zeigen können, wo diese Machenschaften der Entwicklung eines freiheitlichen Staatsverständnisses konkret im Wege standen - und wie sie jene gesellschaftlichen Liberalisierungsprozesse behinderten, beschädigten oder verzögerten, die schließlich sogar den "Dienst" zu transformieren halfen. Man darf gespannt bleiben.

Norbert Frei lehrt Neuere und Neueste Geschichte an der Friedrich-Schiller-Universität Jena und leitet dort das Jena Center Geschichte des 20. Jahrhunderts.

© SZ vom 08.04.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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