BGH zu Brechmittel-Einsatz:Beschämende Nachhilfe

Ein Polizeiarzt hat einem Drogendealer Brechmittel verabreicht, bis der Mann starb. Dass selbst die Staatsanwaltschaft Freispruch beantragt hatte, ist mehr als peinlich.

Wolfgang Janisch

Der Fall stammt weder aus einem anderen Land, noch aus einer anderen Zeit, sondern er trug sich in Bremen zu, vor gut fünf Jahren. Ein mutmaßlicher Drogendealer aus Sierra Leone soll - wie das damals in Deutschland gebräuchlich war - mit einem Brechmittel um die verschluckten Kokainkügelchen erleichtert werden.

Fünf Jahre nach dem tödlichen Brechmitteleinsatz eines Bremer Polizeiarztes gegen einen mutmaßlichen Drogendealer muss der Fall neu aufgerollt werden. (Foto: Foto: AFP)

Er wird an einen Stuhl gefesselt, damit man die Magensonde legen kann, der Polizeiarzt flößt ihm literweise Wasser ein, der Mann hat Schaum vorm Mund, wird bewusstlos - und der Arzt macht weiter, bis der 35-Jährige "innerlich ertrinkt". Das klingt nach dem berüchtigen "water boarding". Nur dass US-Schergen wohl professioneller sind.

Der Bundesgerichtshof (BGH) hat nun den Freispruch des offenkundig völlig überforderten Polizeiartzes aufgehoben. Nachdem der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte vor vier Jahren dem brutalen Brechmitteleinsatz in Deutschland ein Ende bereitet hatte, erinnert das Urteil des 5. Strafsenats in Leipzig nun daran, dass menschenunwürdige Behördenpraktiken immer auch eine individuelle Komponente haben: Es gibt keine Schläge, wenn keiner schlägt, keine Quälereien, wenn keiner quält, keine unmenschliche Behandlung, wenn jeder den Mindeststandard menschlichen Umgangs einhält.

Der Arzt wird nun wohl mit einer Verurteilung rechnen müssen, womöglich sogar wegen vorsätzlicher Körperverletzung mit Todesfolge. Dass das Landgericht Bremen dafür der Nachhilfe des BGH bedurfte, ist mindestens peinlich. Dass aber die Angehörigen des toten Afrikaners den Fall selbst als Nebenkläger zum BGH tragen mussten, weil sogar die Staatsanwaltschaft Freispruch beantragt hatte - das ist beschämend.

© SZ vom 30.04.2010 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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