Besuch des kanadischen Premiers:Willkommener Gast aus Nordamerika

Kanadas Premier predigt Weltoffenheit und Toleranz, wird von Liberalen weltweit gefeiert. Wie viel Substanz steckt unter dem Hype? In weltpolitisch unsicheren Zeiten kommt Trudeau nun nach Berlin.

Von Julia Ley

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(Foto: REUTERS)

Es ist nicht häufig, dass ein Politiker in der Presse Begeisterungsstürme auslöst, doch dieser Mann hat es geschafft. Das Handelsblatt nannte Kanadas Premierminister Justin Trudeau einen "Sunnyboy mit Substanz", der Focus bezeichnete ihn als "Premier der Träume", der Spiegel sprach gar von einem "liberalen Messias" und in der FAS fragte eine Redakteurin sehr ernsthaft, was dieser Mann nur an sich habe, dass alle ihre Freundinnen mit ihm schlafen wollten. An diesem Freitag ist Trudeau in Berlin zu Gast.

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(Foto: REUTERS)

Trudeau kommt in ein Land, das ihm wohlgesonnen ist. Trotzdem wird dieser Besuch nicht einfach. Während des Abschreitens der Ehrenformation der Bundeswehr demonstrierten Gegner des EU-Kanada-Freihandelsabkommens Ceta. Und bei den Gesprächen im Kanzleramt soll es auch um die veränderten transatlantischen Beziehungen gehen. Seit Trumps Amtsantritt ist nicht nur Deutschland verunsichert, wie es mit einem US-Präsidenten umgehen soll, der die Nato mal für wichtig, mal für "obsolet" hält, Angela Merkel offen für ihre Flüchtlingspolitik ausschimpft und mit seinem Slogan "America First" einen neuen Isolationismus proklamiert.

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(Foto: Getty Images)

Der wankelmütige US-Präsident könnte auch ein Grund dafür sein, dass die Bande zu Kanada künftig noch enger werden. Während Trump dem Freihandelsabkommen TTIP eine Absage erteilte, steht Trudeau entschlossen hinter dessen kanadischen Äquivalent, Ceta. Am Mittwoch hat das Europäische Parlament dem umstrittenen Abkommen zugestimmt. Doch gerade in Deutschland hat Ceta auch Kritiker. Sie bemängeln die Geheimhaltung, unter der die Verträge ausgehandelt wurden, befürchten eine "Paralleljustiz" und sehen die Gefahr zunehmenden Privatisierungsdrucks. Noch im Herbst musste Trudeau einen bereits geplanten Besuch in Europa kurzfristig absagen, weil die EU sich trotz monatelanger Gespräche nicht auf eine gemeinsame Haltung zu dem Abkommen einigen konnte.

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(Foto: REUTERS)

Zumindest die Beziehung zwischen der Kanzlerin und dem kanadischen Premier scheint das nicht zu beeinträchtigen, wie dieses Foto eines gemeinsamen Abendessens am Donnerstagabend in Berlin wohl zeigen soll. Kein Wunder - sind sie sich doch in vielem ähnlich. Beide wollen dem Trumpschen Protektionismus internationale Zusammenarbeit entgegensetzen und beide wurden nach dem Wahlsieg schon als neue "Anführer der freien Welt" gefeiert. Als Trump sein Einreiseverbot für sieben muslimische Länder verhängte, twitterte Trudeau ostentativ: "An jene, die Verfolgung, Terror und Krieg entfliehen, Kanadier werden euch willkommen heißen, unabhängig von eurem Glauben. Vielfalt ist unsere Stärke." Skeptiker sehen darin eine rhetorische Nebelkerze - denn während sich Trudeau in den sozialen Netzwerken für seine Hilfsbereitschaft feiern lässt, kommen nur wenige Flüchtlinge tatsächlich ins Land. Seit Herbst 2015 hat die kanadische Regierung nur etwas mehr als 40 000 Menschen aufgenommen. Das ist in etwa doppelt so viele wie im Sommer 2015 an einem einzigen Wochenende in München ankamen.

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(Foto: Getty Images)

Doch es gibt auch Bereiche, in denen der Premier den schönen Worten durchaus auch Taten folgen lässt: Mehr als die Hälfte seines Kabinetts ist mit Frauen besetzt, viele der Mitglieder haben ausländische Wurzeln, manche kamen selbst als Flüchtlinge ins Land. Gefragt, warum ihm all das wichtig sei, entgegnete Trudeau in einem Interview vor zwei Jahren lapidar: "Weil wir im Jahr 2015 leben." Vor dem Treffen im Kanzleramt besuchte Trudeau an diesem Freitag das Holocaust-Mahnmal in Berlin, wo er einen Kranz niederlegte. Die Erinnerung an die Ermordung von sechs Millionen Juden dürfte dem Liberalen gerade in diesen Zeiten wichtig sein. Weltweit sind heute mehr als 65 Millionen Menschen auf der Flucht - mehr als je zuvor.

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(Foto: dpa)

Für den Nachmittag steht dann noch ein etwas leichterer Termin im Kalender. Trudeau wird zusammen mit Außenminister Sigmar Gabriel am traditionellen Matthiae-Mahl im Hamburger Rathaus teilnehmen. Seit 1356 feiern die Hamburger mit ihren Gästen das Matthiae-Mahl, das weltweit älteste heute noch begangene Festmahl. Der Matthias-Tag am 24. Februar galt im Mittelalter als Frühlingsbeginn und Auftakt des Geschäftsjahres.

© SZ.de/RTR/getty/dpa/jly - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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