Man hätte dieses Ergebnis nun als Signal für die Einigungsfähigkeit von Union und SPD nehmen können; als Zeichen des guten Willens, die seit mehr als vier Monaten währende Regierungsbildung nun endlich zu einem gütlichen Ende zu bringen. Weit gefehlt.
Nicht nur die SPD legte Wert darauf, die Einigung als parteipolitischen Erfolg darzustellen. Ähnlich kommentierte auch die Union das Ergebnis: Das zwischen CDU und CSU formulierte Regelwerk zur Migration habe sich durchgesetzt, sagte Fraktionschef Kauder. Mancher in der SPD habe den Nachzug von "Zigtausenden" zum Ziel gehabt. Das werde nicht kommen.
CSU-Generalsekretär Scheuer verkündete, der Familiennachzug für subsidiär Schutzbedürftige werde abgeschafft. Künftig gebe es für diese Gruppe "keinen generellen Anspruch mehr". CSU-Landesgruppenchef Alexander Dobrindt sprach von einem "zentralen Baustein zur weiteren Begrenzung der Zuwanderung".
Die unterschiedlichen Interpretationen von Verhandlungsergebnissen sind zwischen SPD und CSU nichts Neues. Schon nach den Sondierungen hatte die CSU behauptet, mit der Zielmarke von maximal 180 000 bis 220 000 Zuwanderern pro Jahr die von ihr geforderte Obergrenze durchgesetzt zu haben.
Auch in der SPD unterschiedliche Deutungen
Die SPD hatte dem vehement widersprochen, unter anderem mit dem Argument, das Asylgrundrecht und die Verpflichtungen aus der Genfer Flüchtlingskonvention blieben von dieser Spanne unberührt - eine Wahrnehmung, die in der SPD begrenzt Anklang fand. Mehrere Redner auf dem Parteitag, unter ihnen Ralf Stegner, beklagten, dass die Genossen lieber den Deutungen des politischen Gegners Glauben schenkten als dem, was die eigenen Parteifreunde erläuterten.
Auch diesmal wartet auf die SPD-Spitzen allerhand Überzeugungsarbeit. Stegner selbst zeigte sich nach der Einigung am Dienstag weniger euphorisch als sein Parteichef. Der SPD-Vize sprach von einer "ersten Einigung" mit der Union. Zwar sieht auch Stegner damit die Vorgaben des SPD-Parteitags als erfüllt an. Zugleich räumte er ein: "Natürlich hätte sich die SPD weitergehende Regelungen gerade zugunsten von Kindern gewünscht, als sie insbesondere mit der CSU möglich waren."
Bemerkenswert auch die Bewertung von Fraktionsvize Eva Högl. Sie hatte unmittelbar nach der Einigung ihre Freude kundgetan. Im Laufe des Tages wurde dann aber auch in ihren Äußerungen immer deutlicher, dass die Frage der Härtefälle noch im parlamentarischen Verfahren geklärt werden müsse. Es sei darüber zu sprechen, ob man diese Regelung "nicht etwas weiter interpretieren kann". Im Ringen um die Zustimmung der eigenen Parteibasis bleibt somit das Prinzip Hoffnung ein besonders wichtiger Verbündeter der SPD-Spitze um Martin Schulz.