Berlusconi auf Wahlkampftour:Nichts zu verlieren

Lesezeit: 4 min

Silvio Berlusconi kurz vor einem Fernsehauftritt in Rom. (Foto: dpa)

Müde und deprimiert wirkte Silvio Berlusconi vor einem halben Jahr. Jetzt ist Italiens Ex-Premier wieder da und wundersam aufgeblüht. Berlusconi zeigt sich als Fighter und Märchenerzähler. Bei den Wählern kommt das gut an.

Von Andrea Bachstein, Rom

"Der ist einfach aus einem anderen Stoff gemacht als wir", sagte der blonde junge Mann. Er bewundert die Kondition von Silvio Berlusconi, der hier im ehrwürdigen Teatro Capranica nahe dem römischen Parlament jetzt schon an die 50 Minuten spricht und noch längst nicht fertig ist. Während Gianvito Casarella mit seinen 34 Jahren nach zwei Stunden in dem über-vollen und überheizten Raum langsam schlappmacht, wirkt der 76-Jährige vorne auf der Bühne voller Energie.

Der Mann, der noch vor einem halben Jahr müde und deprimiert wirkte, ausgebrannt und ratlos, ist wundersam aufgeblüht. Welche Zaubermittel außer der Schminke da auch im Spiel sein mögen, Berlusconi zeigt in seinem sechsten Wahlkampf, dass das sein Element ist. Er ist ein Fighter und ein begnadeter Verkäufer. Das hat seinen Erfolg als Unternehmer ausgemacht, und wenn er in der Kampagne sich und seine Versprechen an die Wähler und die Medien verkauft, kommt das genau so gut an. Drei Wochen vor der Wahl hat seine Partei in Umfragen acht Prozentpunkte zugelegt und kann auf 20 Prozent der Stimmen hoffen.

Seit 1994 hat dieser Mann praktisch keines seiner Wahlversprechen gehalten und Italien an den Rand des Staatsbankrotts geführt, im November 2011 musste er skandalbeladen von der Regierung zurücktreten. Und nun prangen auf der blauen Wand hinter ihm wieder Dutzende der runden Parteilogos mit der Aufschrift "Popolo della Libertà Berlusconi Presidente".

Die Show scheint ihm Spaß zu machen. Ab und zu flicht er einen Scherz ein, die Arme stützt er breit auf beiden Seiten des Mikrofonpults ab. Wovon er redet? Von seinen Erfolgen natürlich, von den Fehlern der anderen - und von jenen, die ihn daran gehindert hätten, als Premier noch erfolgreicher zu sein.

Halbwahrheiten und Phantasien

Als den Politiker, "der in der Geschichte des Landes am längsten regiert hat", hat ihn Partei-Generalsekretär Angelino Alfano angekündigt, und Berlusconi legt los, indem er einen gängigen Vorwurf kontert: "Unsere Regierung hat mehr gemacht als die 50 Regierungen vorher", ruft er. Die Müllkrise in Neapel habe er gelöst, in wenigen Monaten Unterkünfte für Zehntausende geschaffen, die durch das Erdbeben in den Abruzzen obdachlos wurden, und in Europa sei er einer der wichtigsten, am höchsten geachteten Regierungschefs. Halbwahrheiten oder Phantasien sind auch die "großen Erfolge im Kampf gegen die Mafia" in seiner Regierungszeit oder die Behauptung, die kleinen Parteien hätten ihn an der Justizreform gehindert.

Aber im Teatro Capranica stört das niemanden, die meisten hier treten als Parlamentskandidaten für die PDL an, so wie Gianvito Casarella aus Apulien. Der findet es großartig, dass diesmal junge Leute aufgestellt werden, die wie er schon seit Jahren in der Lokal- und Kreispolitik ackern, dass nicht wie früher "irgendwelche Starlets" Listenplätze erhalten. Casarella hat kaum Chancen, das weiß er, irgendwo auf Platz 25 steht er erst, aber er sagt, für ihn zähle die Anerkennung, auf die Liste gesetzt worden zu sein.

Berlusconi ist derweil bei seinen Lieblingspunkten angelangt: der kommunistischen Gefahr, die er bekämpfe, und bei Mario Monti, seinem Nachfolger und Konkurrenten um Wählerstimmen. Der führe das Land und die Bürger in den Ruin mit seiner Steuerpolitik. Dieses Thema ist das Schlüsselelement seines Wahlkampfs, er zwingt es den Rivalen auf. Mit seinem Verkäufer-instinkt hat Berlusconi zielsicher aufgegriffen, was viele Italiener am meisten aufregt: die "IMU" genannte Steuer auf Immobilienbesitz. Haus- und Wohnungseigentümer müssen sie seit 2012 auch auf ihren ersten Wohnsitz zahlen, und sie ist höher als die frühere Grundsteuer.

Berlusconi, der Populist, schürt die Wut über die IMU, und das bringt ihm Zustimmung. Und nicht nur hier im Theater redet er von ihr, sondern auch bei seinen täglichen Fernseh- und Radioauftritten. Rastlos eilt er seit Wochen von Studio zu Studio, monologisiert möglichst, ist aber schlagfertig nach Bedarf, hat immer eine Pointe auf dem Zettel.

Er stellt die Dinge so einfach dar, dass sie auch der Dümmste versteht; er erzählt, was mancher hören will, und sei es noch so märchenhaft. Im Falle eines Wahlsiegs werde er die IMU gleich auf der ersten Kabinettssitzung wieder abschaffen, verspricht Berlusconi seit Wochen, und jetzt hat er auch noch einen "Schockvorschlag" präsentiert: Schon bezahlte IMU auf den Erstwohnsitz werde er den Bürgern zurückerstatten. Vier Milliarden Euro wären das.

Das schlug Wellen in dieser Woche. Mario Monti sprach spöttisch von einem Versuch des Stimmenkaufs, den die Leute aber selbst bezahlen müssten. Sozialdemokraten-Chef Pierluigi Bersani nannte es einen Witz. So sehen das laut Umfragen auch 70 Prozent der Italiener, die das für nicht finanzierbar halten.

Premier, das weiß er, wird er nicht mehr

Auf einer Facebook-Seite reihten Witzbolde auf, was Berlusconi wem noch alles zurückgeben könnte: Sharon Stone ihre Unterhose, den Mayas die Glaubwürdigkeit. Viele lachen nur noch über Berlusconi, der im Fernsehen darauf bestand, dass man ihn Julius Cäsar nennen dürfe, wenn er das nicht umsetze.

Berlusconi erlaubt sich offenbar alles, weil er nichts mehr zu verlieren hat. Trotz all der Märchen, die er erzählt hat, und obwohl die Partei ihn aufs Altenteil setzen wollte, ist er doch wieder der Spitzenmann der PDL. Und jeder noch so absurde Vorschlag bringt ihm wieder große Medienaufmerksamkeit ein.

Premier, das weiß er, wird er nicht mehr: weil seine Partei dafür nicht genügend Stimmen gewinnen wird, und weil ihm die Lega Nord als Bedingung für eine Koalition schon einen Verzicht abgepresst hat. Dann werde er eben Wirtschaftsminister, hat Berlusconi angekündigt, ja er schwadroniert, als Superminister für Finanzen und Wirtschaft werde er mächtiger sein, als er es als Premier je war. Nach seiner anderthalbstündigen Rede im Teatro Capranica hatte er allerdings erst mal einen kleinen Schwächeanfall.

© SZ vom 08.02.2013 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: