Wahl in den Berliner Bezirken:"Kaum zu durchschauen"

Lesezeit: 4 min

Im Zuständigkeits-Wirrwarr in Berlin bleibt manches unerledigt - hier das notorisch marode Gymnasium am Europasportpark, aus dem die Schule erst kürzlich ausgezogen ist, damit das Gebäude saniert werden kann. (Foto: Annette Riedl/picture alliance/dpa)

Die Wiederholungswahl führt in den Berliner Bezirken zu einem Kuriosum: Obwohl sich die Mehrheitsverhältnisse geändert haben, gibt es an der Spitze der Bezirke keine Veränderung.

Von Oliver Klasen

Während am Tag nach der Wahl zum Abgeordnetenhaus in Berlin alle darüber streiten, ob Franziska Giffey aus einem Mini-Vorsprung von 105 Stimmen die Legitimation ableiten kann, erneut eine, wie sie selbst das ausdrückt, "starke, führende Rolle" als Regierende Bürgermeisterin zu spielen, lohnt sich ein Blick von der Landes- auf die kommunale Ebene. Die Ergebnisse dort sind - versprochen - nicht weniger kurios.

Zwölf Bezirke gibt es in Berlin. Manche, wie Mitte und Friedrichshain-Kreuzberg, sind eher links-alternativ geprägt, in anderen, wie Spandau oder Reinickendorf, dominiert eher ein konservativeres bürgerliches Milieu. Jedem dieser Bezirke steht eine Bezirksbürgermeisterin oder ein Bezirksbürgermeister vor. Außerdem gibt es noch fünf Bezirksstadträte, von denen einer oder eine zum stellvertretenden Bürgermeister gewählt wird. Dieses Sechsergremium ist dann sozusagen die Regierung des jeweiligen Bezirks. Das Parlament des Bezirks ist die Bezirksversammlung mit jeweils 55 Abgeordneten.

SZ PlusWiederholungswahl in Berlin
:Schwierige Partnersuche für die CDU

Als stärkste Partei würden die Konservativen in Berlin gern regieren. Allerdings könnten die Verhandlungen mit den Grünen und der SPD an einigen Punkten leicht scheitern.

Von Miriam Dahlinger

Bis hierhin ist das die Beschreibung der Verwaltungsgliederung einer gewöhnlichen Großstadt. Aber: Es handelt sich um Berlin, also ist die Lage kompliziert, sogar sehr kompliziert.

Zunächst einmal, das ist noch leicht zu verstehen, spiegelt sich der generelle politische Trend in Berlin auch in den Bezirken wider: Die CDU gewinnt stark, die SPD verliert. Bei den Grünen gibt es leichte Verschiebungen nach oben, bei der Linken leichte nach unten. AfD und Linke verlieren relativ deutlich. Würde man eine Berlin-Karte zeichnen mit der jeweils stärksten Partei in den zwölf Bezirken, dann wäre auf dieser Karte eine grüne, nach oben offene Mitte und ein riesiger schwarzer Ring drumherum. In drei Bezirken sind die Grünen stärkste Kraft geworden, in den anderen neun die CDU.

Die Wiederholungswahl führt nun aber zu einem Kuriosum: Denn wenn sich die Mehrheitsverhältnisse in einem Bezirk ändern - wenn also etwa eine Grünen-Bezirksbürgermeisterin sich einer größer gewordenen CDU-Fraktion gegenüber sieht -, bedeutet das nicht, dass auch der Bezirksbürgermeister und die Bezirksstadträte wechseln. Hier kollidieren das Wahlrecht und das Beamtenrecht. Alle Mitglieder des Sechsergremiums in jedem Bezirk werden zu Anfang der Legislaturperiode für fünf Jahre ernannt. Die Besetzung des Sechsergremiums wird nach politischen Proporz bestimmt. Im Grunde genommen sind die Berliner Bezirke hier ähnlich strukturiert wie die Schweiz, wo gemäß einer jahrzehntelangen Zauberformel sichergestellt ist, dass alle relevanten politischen Gruppen ihrer Stärke angemessen an der Regierung beteiligt sind.

Dass das kompliziert ist, gibt selbst Thomas Härtel zu, und er ist jemand, der sich mit dem Berliner Verwaltungssystem hervorragend auskennt. Jahrzehntelang hat er ihm gedient. Härtel, 71, SPD-Mitglied, ist inzwischen Präsident des Landessportbundes, war aber zwölf Jahre Staatssekretär in SPD-geführten Senaten und 14 Bezirksstadtrat in Steglitz-Zehlendorf. Er kennt also beide Ebenen der Berliner Verwaltung, die Bezirke und den Senat.

"Die Bezirksbürgermeister und die Bezirksstadträte sind Beamte auf Zeit, die politisch gewählt sind", erklärt Härtel, "sie befinden sich in einer Zwitterstellung" zwischen politischem Amt und Verwaltungsfunktion.

Könnten nicht Bezirksbürgermeister, die ihre Mehrheit verloren haben, freiwillig zurücktreten? Könnten sie, dann aber würden sie erhebliche Übergangsgeld- und Pensionsansprüche verlieren. Ein Rücktritt aus solchen Ämtern ist eigentlich nur vorgesehen, wenn jemand einen groben Fehler gemacht hat und daraus die Konsequenzen zieht. Abgesetzt werden können die Bezirksbürgermeister und Bezirksstadträte zwar, aber dafür ist in der Bezirksverordnetenversammlung, wir erinnern uns: dem Parlament der Bezirke, eine Zweidrittel-Mehrheit nötig, die nur in den seltensten Fällen zustande kommen dürfte.

Es ist nicht leicht zu verstehen, wer wofür zuständig ist

Böse gesagt, haben die Berlinerinnen und Berliner nun eine für den Staat recht teure Wiederholungswahl absolviert, bei der sich an der Spitze der Bezirke kaum etwas ändert. Nun könnte man einwenden, dass eine Wiederholungswahl so schnell nicht mehr vorkommen wird und die temporäre Legitimitätslücke der Bezirksämter ertragen. Allerdings gibt es auch unabhängig davon mehr als genug Reformbedarf im Berliner Politiksystem. Die schlechte Koordination zwischen Bezirken und Senat, die dysfunktionale Verwaltung, die vor allem der SPD angelastet wird, ist einer der Gründe für das schlechte Abschneiden von Giffey.

"Wer wofür zuständig ist, ist für die Bürgerinnen und Bürger oft kaum zu durchschauen", sagt der pensionierte Staatssekretär Härtel. So sind etwa die Bezirke für die bauliche Unterhaltung der Schulen zuständig, das Land Berlin aber dafür, neue Lehrer einzustellen.

Kurz vor der Wiederholungswahl hat der rot-grün-rote Senat noch einen Fahrplan für eine Reform der Berliner Verwaltung auf den Weg gebracht. Der wichtigste Teil: Die Kompetenzen zwischen Bezirken und dem Senat sollen klarer definiert werden. Darüber, das Wirrwarr an Zuständigkeiten zu entflechten, sind sich alle Parteien im Grundsatz einig, das Problem in Berlin ist, wie so oft, die Umsetzung.

Umstrittener ist die Einführung sogenannter politischer Bezirksämter, die Giffey und die bisherige Koalition für 2024 planen. Allerdings ist dafür eine Änderung der Landesverfassung nötig. Gelingt diese, dann würde sich die Spitze der Bezirke nach den Mehrheitsverhältnissen in der jeweiligen Versammlung richten.

Alle Nachrichten im Überblick
:SZ am Morgen & Abend Newsletter

Alles, was Sie heute wissen müssen: Die wichtigsten Nachrichten des Tages, zusammengefasst und eingeordnet von der SZ-Redaktion. Hier kostenlos anmelden.

Die Alternative wäre ein System wie in Hamburg: Dort sind die Spitzen der Bezirke zentral vom Senat ernannt. Auf lokaler Ebene haben die Bürgerinnen und Bürger zwar Ansprechpartner, aber die Stadtverwaltung hat die fachliche Aufsicht und Zugriffsrechte. Ein solches System schlägt etwa die FDP vor, die allerdings hat in Berlin kaum noch etwas zu sagen.

"Die Bezirke, die teilweise die Einwohnerzahl einer mittleren Großstadt haben, zu entmachten und alles zu zentralisieren, finde ich den falschen Weg", sagt Maren Schellenberg (Grüne), Bezirksbürgermeisterin im Bezirk Steglitz-Zehlendorf. "Das Wichtigste ist jetzt, dass wir einfach weiterarbeiten können", sagt Schellenberg.

Selbst, wenn man nicht alle Verästelungen des Berliner Verwaltungssystems versteht, ahnt man: Das wird auch in den kommenden Jahren nicht einfacher werden.

© SZ - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

SZ PlusWahl zum Abgeordnetenhaus
:Berlin hat gewählt, und heraus kommt: Berlin

Berlin ist eine merkwürdige Stadt, die ein passend merkwürdiges Wahlergebnis hervorgebracht hat. Von zwei Kandidatinnen, die beide erst mal trotzig weiterhoffen, und einem Sieger, mit dem keiner siegen will.

Von Markus Balser, Jan Heidtmann, Boris Herrmann, Georg Ismar, Henrike Roßbach und Robert Roßmann

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: