Berlin: Mai-Demonstrationen:Mini-Krawalle nach der Grillparty

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So richtig revolutionäre Stimmung wollte nicht aufkommen am 1. Mai in Berlins Straßen. "Das Fest ist so schön wie das Wetter", sagt Grünen-Politiker Ströbele - und wünschte es sich ein bisschen politischer.

Inga Rahmsdorf

Über dem Mariannenplatz liegen dicke Rauchschwaden, überall brennen Feuer. Schon seit dem Mittag zieht ihr Geruch durch die Straßen von Kreuzberg, in denen sich die Menschen drängen. Über den Feuern brutzeln Hühnerbeine, Hackfleischbällchen und Bratwürste. Nicht weit entfert sitzen auf einer Mauer Polizisten, aufgereiht wie Vögel auf einer Hochspannungsleitung. Sie lassen die Beine baumeln, ihre Hände haben sie um die großen Helme in ihrem Schoß gelegt. Es ist der 1. Mai, der traditionell krawallträchtige Tag in der Hauptstadt. Etwa 6000 Polizisten sind im Einsatz.

Etwa 18.000 Demonstrationen sollen an dem Demonstrationszug teilgenommen haben. (Foto: Getty Images)

Noch am Nachmittag ist ganz Kreuzberg ein riesiges Volksfest, etwa 20.000 Menschen spazieren und tanzen durch die Straßen, liegen in der Sonne, während die Kreuzberger auf dem Bürgersteig gefüllte Fladenbrote und kalte Getränke verkaufen. Linksradikale Gruppen hatten im Internet dazu aufgerufen, am Nachmittag auf dem Kreuzberger 1.-Mai-Fest, dem Myfest, zu demonstrieren. Doch bis zum Abend ist von der Randale, für die Kreuzberg seit fast einem Vierteljahrhundert bekannt ist, nichts zu sehen. Stattdessen tut Berlin mal wieder, was es am besten kann, es feiert sich selbst.

Um 18 Uhr dann soll die traditionelle revolutionäre 1.-Mai-Demonstration beginnen. Immer mehr Menschen ziehen von dem Myfest hinüber auf eine Brücke, die Kreuzberg und Neukölln verbindet. Die Polizei kontrolliert höflich Rucksäcke und Taschen auf Flaschen. Von einem Wagen herunter versuchen fünf Sprecher die sonnenmatte Menschenmenge in revolutionäre Stimmung zu bringen. Nordafrika, Tunesien, Revolution - die Schlagworte fallen, doch der Funke scheint nicht recht überzuspringen.

Wesentlich lebendiger geht es einige Meter weiter am Imbiss neben der Brücke zu, einige Männer haben ihre Instrumente ausgepackt und machen Musik, zwischen den Biertischen beginnt eine Frau Bauchtanz zu tanzen, die Gäste feuern sie klatschend an.

Vermummte auf dem Hausdach

Gegenüber stehen plötzlich vier vermummte Personen auf dem Hausdach, rollen ein rotes Plakat die Hauswand hinab mit der Aufschrift "Klasse gegen Klasse" und schießen mit erhobenen Armen Feuerwerkskörper in die Luft. Dann verschwinden sie wieder, dafür steht Hans-Christian Ströbele im Gewusel. In der Hand ein Fahrrad, um den Hals ein roter Schal, auf dem Gepäckträger klemmt ein Stoffbeutel. Der Bundestagsabgeordnete ist nicht nur ein Urgestein der Grünen, sondern auch der 1.-Mai-Demonstrationen.

Ströbele ist jedes Jahr dabei, beobachtet von seinem Fahrrad aus die Proteste. Wie es bisher gelaufen ist? Er lacht: "Das Fest ist so schön wie das Wetter." Nur ein bisschen politischer könnte es nach seinem Geschmack noch sein. Doch von den Krawallen, die manche Medien heraufbeschworen hätten, sei nichts zu sehen, auch in der Walpurgisnacht am Samstag nicht, sagt er, verabschiedet sich und schiebt sein Fahrrad zwischen den Menschen hindurch.

Auf dem Demonstrations-Wagen tritt derweil eine Frau ans Mikrofon und referiert die Geschichte der Protestbewegung. Der monotone Klang ihrer Stimme scheint sogar die Damen und Herren im schwarzen Block zu langweilen, die dicht gedrängt hinter einem Transparent neben dem Wagen stehen. Unruhig treten sie von einem Fuß auf den anderen, schieben ihre Sonnenbrillen und schwarzen Kapuzen zurecht. Vom Cafe am Straßenrand ruft ein Mann hinüber: "Wat soll das Gerede. Wo bleibt die Musik?"

Bester Stimmung zeigten sich die meisten Teilnehmer der Mai-Demonstrationen in Berlin-Kreuzberg am Nachmittag. (Foto: Getty Images)

Am Abend kippt die Stimmung

Dann setzt sich der Zug in Bewegung. Begleitet von zahlreichen Polizeiwagen und Trupps von Beamten ziehen die Demonstranten durch Neukölln, nach Angaben der Polizei sind es etwa 18.000 Menschen. Gegen 20 Uhr kippt die Stimmung. Der größte Teil bleibt zwar weiterhin friedlich, doch einige Demonstranten beginnen Steine und Flaschen zu werfen. An der Karl-Marx-Alle schmeißen sie die Fensterscheiben einer Volksbank-Filiale ein. Kurze Zeit später kommt es zu einem Gerangel auf der Straße, Trupps von Polizisten eilen den Demonstrationszug entlang.

Einige Beamte nehmen einen jungen Mann fest und drücken ihn gegen eine Fensterscheibe, hinter der sich ein Dönerspieß dreht. Drinnen, in dem kleinen Imbiss herrscht Hochbetrieb, demonstrieren macht hungrig. Ein junger Mann mit blutender Nase stürmt herein, bittet um Servietten und eilt wieder hinaus. Ein Farbei klatscht gegen die Fensterscheibe, und läuft über das Glas, es sollte wohl einen der Polizisten treffen, die sich am Bürgersteig aufgestellt haben.

Ungerührte Passanten

Die beiden Männer hinter dem Tresen beobachten das Geschehen vor der offenen Tür und der Fensterscheibe so unbeeindruckt, als würden sie dem Regen zuschauen.

Draußen fährt ein Wagen mit Lautsprechern vorbei, der Veranstalter habe die Demonstration beendet, der Grund seien "massive Übergriffe durch die Polizei", ertönt eine Stimme. Eigentlich hätte es noch eine Abschlusskundgebung am Südkreuz geben sollen, doch die fällt nun aus. Die Polizei hat einige Seitenstraßen abgeriegelt. Ein Rollstuhlfahrer will die Demonstration verlassen und bittet die Polizisten ihn durchzulassen, doch sie schütteln den Kopf.

Langsam löst sich der Demonstrationszug auf, doch auch in den nächsten Stunden sind in Kreuzberg und Neukölln immer noch viele Menschen auf den Straßen. An einigen Orten fliegen weitere Steine und Flaschen, die Polizei setzt Tränengas ein und nimmt Demonstranten fest.

In einer ruhigen Seitenstraße in Neukölln halten Polizisten eine Gruppe von 16 Leuten an, die lachend über den Bürgersteig laufen. Eine halbe Stunden werden sie an der Straßenecke festgehalten. "Wir machen Personenkontrollen", erklärt einer der Polizisten. "Alle größeren Gruppen werden überprüft, um marodierende Gruppen in der Stadt aufzuhalten."

Nach Angaben der Polizei sind um Mitternacht noch 7000 Menschen in Neukölln und Kreuzberg unterwegs. "Von Krawallen oder Ausschreitungen kann jedoch keine Rede sein, sagt ein Sprecher der Polizei sueddeutsche.de um Mitternacht.

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