Man muss natürlich ins Goya gehen, am Nollendorfplatz in Schöneberg. Da gehen die meisten hin. Die U-Bahn rattert hier über der Erde, und langsam nur frisst sich die Schlange der Wartenden hinein in den Club, der mal ein Theater war, dann ein Porno-Club und eine Diskothek. 1200 Menschen haben sie am Eingang des Goya gezählt.
Auf drei Ebenen nur Köpfe im Halbdunkel: schreiende, jubelnde, weinende Köpfe. Sie starren auf die Leinwand. Sie pfeifen, wenn George W. Bush ins Bild kommt, und kreischen, sobald die Kamera Barack Obama auf den Schirm wirft. "Das ist, als sei man mit der ganzen Welt vereint", sagt eine ältere Dame, und etwas Ehrfürchtiges schwingt in ihrer Stimme.
Man könnte auch ins White Trash an der Schönhauser Allee gehen, oder ins Irish Harp. Oder ins Amerika Haus? Die deutsche Hauptstadt feiert die Amtseinführung Barack Obamas an vielen Orten.
Weil aber meistens die Partys am schönsten sind, die keine Zeitung und kein Radio vorher angekündigt hat, geht man noch zu Familie Reeb, die auch gern ins Goya gekommen wäre. Aber wie soll das gehen mit zwei kleinen Kindern? So machen sie zu Hause ihr Fest.
Die Reebs wohnen ungefähr da, wo John F. Kennedy einmal einen Satz gesagt hat, der trotz seiner umwerfenden Schlichtheit alle ihm folgenden amerikanischen Präsidenten bis zum heutigen Tag unter Druck setzt, wenn sie in Berlin eine Rede halten. Der Satz heißt: "Ich bin ein Berliner!"
"Ich bin Amerikanerin", sagt Michelle Reeb, eine zierliche schöne Frau. Stiege sie aufs Dach ihres Hauses, so sähe sie den Turm des Rathauses Schöneberg, den Platz davor, auf dem der berühmte schlichte Satz 1963 gesprochen wurde.
Aber sie steigt nicht aufs Dach, was einerseits damit zu tun hat, dass sie ihr drittes Kind im Bauch trägt, und andererseits der Tatsache geschuldet ist, dass ihre Wohnung voller Kisten steht, dazwischen die Kinder, die Burger, die Pommes, der Fernseher, die Fähnchen, die Nachbarn.
In vier Tagen ziehen die Reebs wieder nach Amerika, an die Westküste, in die Nähe von San Francisco. Dass ihre Kinder den Tag der Amtseinführung Barack Obamas in Erinnerung behalten, das ist Michelle Reeb am wichtigsten.
Ein Fehler, der menschlich macht
Sie sagt: "Dieses Gänsehautgefühl dürfen sie nicht vergessen. Dass da einer steht und schwört, von ganzem Herzen das Beste zu tun für unser Land."
Das Gänsehautgefühl gibt es auch im Goya. "Man kommt sich hier vor wie bei einer Königskrönung", sagt Petra Henzel, eine Beamtin, die den Tag nicht allein vorm Fernseher verbringen wollte.
Sie hatte sogar überlegt, nach Washington zu fliegen, hätte es ausgegeben, das Geld. Die CNN-Live-Übertragung im Goya war günstiger zu haben. Zehn Euro kostete der Eintritt, und Chicken Wings gab es schon für drei.
Die Feier, von der behauptet wird, sie sei in Deutschland die größte, haben US-Demokraten und Republikanern gemeinsam zu Ehren des neuen Präsidenten ausgerichtet. Als Obama beim Eid stockt, raunt Petra Henzel ihrer Nachbarin ins Ohr: "Ein schöner Mann, und so ein kleiner Fehler ist doch wirklich sehr menschlich."
Michelle Reeb steht in ihrem Wohnzimmer und sagt: "Auch wenn er für mich nicht der Messias ist, wir gehen zurück in ein Land, das sich verändern wird." Was hatte sie sich geschworen, damals, als sie von New York nach Berlin zogen? Dass sie erst zurückgehen will, wenn GeorgeW. Bush weg ist. Nun ist er weg. Den Schwur hat sie gehalten.