Berlin:Bezirk veröffentlichte Schätzungen statt Wahlergebnisse

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"Herkulesaufgabe": 2,5 Millionen sind am Sonntag in Berlin wahlberechtigt. (Foto: Sebastian Gollnow/dpa)

In Charlottenburg-Wilmersdorf werden bei der Wahl zur Bezirksverordnetenversammlung teilweise nur fiktive Resultate gemeldet. Und die sind alle genau gleich.

Das Wahlchaos in Berlin ist um eine weitere Facette reicher. Der Bezirk Charlottenburg-Wilmersdorf hat bei der Wahl zur Bezirksverordnetenversammlung offenbar mehrere fiktive vorläufige Wahlergebnisse gemeldet. Wie der RBB berichtet, wurden für 22 Wahlbezirke genau die gleichen Stimmenanteile der Parteien genannt. Zudem sei mitgeteilt worden, dass es in jedem einzelnen dieser Bezirke genau 360 gültige und 40 ungültige Stimmen gegeben habe.

"Die erfassten Ergebnisse sind Bestandteil des vorläufigen Ergebnisses", zitiert der RBB den Bezirkswahlleiter von Charlottenburg-Wilmersdorf, Felix Lauckner. Noch sei nicht bekannt, wie wirklich gewählt wurde. In Einzelfällen sei eine Schätzung auf der Grundlage des bis dahin erfassten Gesamtergebnisses zulässig, wenn in der Wahlnacht von einzelnen Wahlvorständen abschließend keine Ergebnisse gemeldet werden. Die Schätzungen würden händisch oder maschinell erfolgen, seien aber nur erlaubt, "soweit keine Mandatsrelevanz ersichtlich ist". In den Folgetagen werde das tatsächliche Ergebnis "nacherfasst".

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Das Bezirksamt Charlottenburg-Wilmersdorf selbst bezeichnet das Vorgehen als "nicht unüblich". Nach der Auszählung der Stimmen schicken die Wahlvorstände die Ergebnisse an die Datenerfassung des Bezirks, so die Erklärung der Pressestelle. Scheitere allerdings die Kontaktaufnahme mit dem zuständigen Wahlvorstand, könne es erforderlich sein, "eine Schätzung auf Basis des bis dahin Ermittelten abzugeben." Das sei das von der Landeswahlleitung vorgesehene Verfahren.

Fragwürdig ist, warum aber auch mehrere Tage nach der Wahl in einigen Wahlbezirken nur Schätzungen statt ausgezählter Ergebnisse vorliegen. Derzeit wird das tatsächliche Wahlergebnis nach Angaben des Bezirksamts auf Basis der Wahlunterlagen geprüft. Der Vorgang werde spätestens am Freitag abgeschlossen sein: "Wenn dies für alle Wahlen, also auch für die Abgeordnetenhauswahl sowie die Bundestagswahl, erfolgt ist, wird das bezirkliche Endergebnis am 8. Oktober vom bezirklichen Wahlausschuss festgestellt."

Auf Grundlage der Niederschriften der Präsenz- und Briefwahlvorstände berechnen die Bezirkswahlausschüsse die offiziellen Ergebnisse. Gibt es bei den Protokollen Fehler, müssen die Stimmen in den betroffenen Bezirken neu ausgezählt werden.

Die geschätzten Stimmen bei der Wahl zur Bezirksverordnetenversammlung in Charlottenburg-Wilmersdorf gesellen sich zu einer ganzen Reihe von Pannen bei den Wahlen in Berlin, wo auch über die Zusammensetzungen von Bundestag und Abgeordnetenhaus und abgestimmt wurde sowie über die Frage, ob große Wohnungsunternehmen enteignet werden sollen.

Große Probleme mit ungültigen Stimmen

In langen Schlangen warteten Menschen zum Teil bis deutlich nach 18 Uhr vor den Wahllokalen, um ihre Stimmen abzugeben. Zu dem Zeitpunkt sollten die Wahllokale eigentlich schon geschlossen sein. In manchen Bezirken fehlten außerdem Wahlscheine. Die Landeswahlleitung hatte erklärt, es habe nach ersten Einschätzungen wohl in etwa 100 der 2257 Berliner Wahllokale Schwierigkeiten gegeben. Man habe aber genug Stimmzettel vorbereitet, rund 110 bis 120 Prozent des Bedarfs.

Nach Recherchen des RBB gab es bei den verschiedenen Wahlen am Sonntag zudem massive Probleme mit ungültigen Stimmen. In 99 Berliner Wahlbezirken habe sich deren Anteil deutlich erhöht, es geht um mindestens 13 120 Stimmen. Grund dafür könnten falsche Wahlzettel sein. In mehreren Wahllokalen seien die Stimmzettel aus den verkehrten Bezirken ausgehändigt worden. Wer damit abgestimmt habe, habe ungültig gewählt, auch wenn der Wählerwille erkennbar sei, sagte der Bezirkswahlleiter von Friedrichshain-Kreuzberg, Rolfdieter Bohm, dem RBB. Die Probleme mit den falschen Zetteln seien der Landeswahlleitung seit Mitte August bekannt gewesen.

Berlins Landeswahlleiterin Petra Michaelis hatte am Mittwoch mitgeteilt, sie stelle ihr Amt zur Verfügung. "Ich übernehme die Verantwortung im Rahmen meiner Funktion als Landeswahlleiterin für die Umstände der Wahldurchführung am 26.09.2021", teilte sie am Mittwoch mit. "Ich bitte den Senat von Berlin, mich nach den Sitzungen des Landeswahlausschusses am 11. und 14. Oktober 2021 unverzüglich abzuberufen und einen Nachfolger oder eine Nachfolgerin zu bestimmen."

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