Mein Leben in Deutschland:18 Stunden Vertreibung

Lesezeit: 3 min

Abtransport einer Bombe aus dem Zweiten Weltkrieg in Berlin (Archivbild). (Foto: Britta Pedersen/picture alliance / Britta Peders)

Eine Weltkriegsbombe wird entschärft. In Berlin. Das kommt öfter vor. Bei unserem Autor löst es aber spezielle Gefühle aus.

Von Yahya Alaous

Vor Kurzem kam ich abends nach Hause und hatte kein Problem, einen Parkplatz zu finden. Ich wunderte mich: Wo kamen all diese tollen Parkplätze auf einmal her? Ich parkte fast direkt vor meinem Haus - ein Luxus, der Berlinern selten gegönnt ist. Und bevor ich ging, stellte ich sicher, dass es keine Straßenschilder gab, die mich vom Parken abhalten wollten. Ich sah nichts dergleichen.

Am Eingang meines Wohnhauses hing ein Aushang am Schwarzen Brett. Das mit dem Berliner Polizeisiegel gestempelte Papier besagte, dass alle ihre Wohnung am folgenden Tag von sechs Uhr früh bis zwölf Uhr nachts zu räumen hatten, da in der Nachbarschaft eine 250 Kilogramm schwere Bombe aus dem Zweiten Weltkrieg entdeckt worden sei.

Nun war alles klar. Viele Nachbarn waren bereits gegangen und hatten leere Parkplätze zurückgelassen. Ich ging wieder auf die Straße und sah mehr und mehr Leute gehen, sogar unsere älteren Nachbarn, die in ihrem Heim leben. Für sie standen Autos bereit, die sie aus der Gegend bringen sollten.

Mein Leben in Deutschland
:Der Name als Zahlungsausfallrisiko

Wenn sich Migranten hierzulande vorstellen, schließen sich im Alltag oft die Türen für sie. Unser Kolumnist leidet selbst darunter - und hat sich etwas einfallen lassen.

Von Yahya Alaous

Die Gasse war düster und die Leute sahen traurig aus, obwohl sie wussten, dass sie nur für weniger als 18 Stunden gehen würden. Die Bilder von Tausenden von Syrern, die aus Angst vor Bombardierungen und Tötungen aus ihren Häusern flohen, kamen mir sofort in den Sinn. Auch sie dachten, sie würden in ein paar Tagen oder Wochen zurückkehren, doch bis heute ist es ihnen unmöglich.

Wir gingen, als die Polizei klopfte

Ich ging in die Wohnung. Meine Frau bereitete ein paar Dinge für den kurzen Exodus vor. Obwohl die meisten Nachbarn schon gegangen waren und Freunde uns zu sich einluden, blieben wir bis zum nächsten Morgen in unserer Wohnung. Wir blieben, bis die Polizeiautos und Krankenwagen in der Gasse ankamen und die Polizisten anfingen, an die Türen zu klopfen und die Menschen aufforderte, ihre Wohnungen zu verlassen. Wir gingen erst, als sie bei uns klopften.

Es war keine wirkliche Vertreibung, aber in solchen Situationen erkennen die Gefühle die Sprache der Zeit nicht. Was ich befürchtete, war, dass die Aufgabe, die Bombe zu demontieren, nicht an einem Tag enden würde oder dass die Dinge außer Kontrolle gerieten und wir gezwungen sein würden, in den nächsten Tagen fernzubleiben.

Meine kleine Tochter nahm ihre Puppe mit. Meine Frau sagte, dass die Pflanzen nicht verdursten würden, wenn wir bis Mitternacht weg wären, aber sie goss sie doch noch, damit sie sich nicht einsam fühlen würden. Wir nahmen die Schlüssel mit, und während wir das Haus verließen, dachte ich darüber nach, wie schwer es ist, jemanden zu zwingen, sein Zuhause zu verlassen, aus welchen Gründen auch immer.

Es ist nicht das erste Mal, dass die Menschen hier herausfinden, dass sie seit Jahren in der Nähe einer schrecklichen Bombe schliefen, ich habe von vielen ähnlichen Geschichten gelesen, von denen die meisten ein Happy End haben. Die Gedanken führten mich nach Idlib, Deir al-Zor und Raqqa in Syrien, wo die Menschen zwischen den Minen wohnten und nicht wussten, ob sie den nächsten Tag erleben würden. Wenn sie nicht durch die von ISIS eingebuddelten Minen starben, konnten sie immer noch aus der Luft getötet werden, von Assads Fassbomben, die mit Hunderten von Kilogramm TNT gefüllt waren.

Ein Freund hilft

Ich fuhr mit meinem Auto durch die Straßen Berlins, auf dem Weg zum Haus eines Freundes, der uns beherbergen wollte. Ich verfolgte die Demontage der verdammten Bombe genau. Am Abend las ich die Meldung der Polizei, dass die Demontage erfolgreich gewesen war, die Bombe explodierte nicht und wurde weggebracht, wir konnten zurückgehen.

Die meisten Nachbarn waren vor uns zurückgekommen. Ich suchte nach einem Platz, um mein Auto zu parken, konnte aber keinen finden. Ich begann meine tägliche Runde, auf der Suche nach einem Parkplatz. Diesmal hat mich das nicht geärgert. Ich war einfach nur glücklich, wieder zu Hause zu sein.

Übersetzung: Jasna Zajček

© SZ - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Mein Leben in Deutschland
:Die Pressefreiheit ist wichtiger als alles andere

Immer öfter werden Journalisten angegriffen, auch hierzulande. Das ist Anlass zu mehr Besorgnis, meint unser Kolumnist.

Von Yahya Alaous

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: