Bergkarabach:Tage der Entscheidung

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Aserbaidschanische Grenzschutzbeamte freuen sich darüber, dass die wichtige Stadt Schuscha eingenommen wurde. (Foto: Gavriil Grigorov/imago images/ITAR-TASS)

Aserbaidschan hat eigenen Angaben zufolge die zweitgrößte Stadt in der umkämpften Kaukasus-Region eingenommen

Von Tomas Avenarius und Silke Bigalke, Istanbul/Moskau

Im Krieg um Bergkarabach, den die Kaukasus-Staaten Aserbaidschan und Armenien führen, deutet sich die Entscheidung an. Aserbaidschans Staatschef Ilham Alijew teilte mit, seine Truppen hätten am Sonntag die strategisch wichtige Stadt Schuscha eingenommen. In seiner Rede an einem Gefallenen-Denkmal in Aserbaidschans Hauptstadt Baku sprach Alijew von einem "Siegesmarsch" seiner Armee und forderte die armenische Seite auf, die gesamte Karabach-Region nun kampflos zu räumen: "Falls die Führung Armeniens unsere Forderung nicht erfüllt, marschieren wir auf unserem Weg bis zum Ende", so Alijew. Die armenische Seite bestritt, dass die Stadt Schuscha gefallen sei. Man kämpfe weiter.

Das vor allem armenisch besiedelte Gebiet Bergkarabach gehörte zu Zeiten der UdSSR zur Sowjetrepublik Aserbaidschan. Nachdem sich sowohl Aserbaidschan als auch die benachbarte sowjetische Republik Armenien 1991 für unabhängig erklärt hatten, hatte die armenische Seite das Gebiet erobert. Die dort errichtete Republik Bergkarabach wird aber international nicht anerkannt. Seit 1994 galt eine brüchige Waffenruhe, seit Ende September diesen Jahres führen die beiden Staaten wieder Krieg um Bergkarabach.

Die Stadt Schuscha, die die Armenier Schuschi nennen, gilt als zentral für die Kontrolle dieses gebirgigen Gebiets im Südkaukasus. Die hochgelegene Stadt kontrolliert die Verbindungsstraße in die rund 15 Kilometer entfernte Hauptstadt von Bergkarabach, Stepanakert. Die Führung der "Republik Arzach" - so nennen die einheimischen armenischen Bewohner Bergkarabach - hatte vor wenigen Tagen mitgeteilt, dass aserbaidschanische Einheiten nur noch fünf Kilometer vor der Stadt stünden. In sozialen Medien wurde über die Evakuierung von Stepanakert berichtete, wo die meisten der 150 000 Einwohner Bergkarabachs leben.

Der türkische Staatschef Recep Tayyip Erdogan gratulierte Aserbaidschan zur Eroberung der Stadt Schuscha. Er hoffe, dass auch die übrigen "besetzten Gebiete" bald "befreit" würden. Der Krieg im Südkaukasus wird mit der Hilfe umliegender Mächte geführt: Die Türkei unterstützt den "Bruderstaat" Aserbaidschan. Ankara verkaufte moderne Drohnen und schickte syrische Söldner ins Kriegsgebiet, was es allerdings weiterhin bestreitet.

Russland dagegen ist die Schutzmacht Armeniens und hat einen Bündnisvertrag mit dem kleinen Kaukasusstaat. Doch anstatt sich offen an Armeniens Seite zu stellen, beschränkt sich Moskau auf eine Vermittlerrolle - bislang ohne durchschlagenden Erfolg. Mehrfach versuchte der russische Außenminister Sergej Lawrow, eine Waffenruhe zu vermittelt, die aber nie hielt.

Präsident Wladimir Putin hatte zwar früh klargestellt, dass Russland wegen des Verteidigungsbündnisses eine "gewisse Pflicht" gegenüber Armenien habe, die Kämpfe um Bergkarabach aber eben nicht auf armenischem Territorium stattfänden. Ende Oktober erklärte Putin dann sogar, er sei "absolut offen" für den Vorschlag, "fünf plus zwei" Regionen, die bisher von Armenien kontrolliert wurden, an Aserbaidschan zu übergeben. Er meinte damit die sieben Gebiete, die Armenien neben Bergkarabach erobert hatte, um sich eine Art Verteidigungszone zu schaffen. Die Regierung in Eriwan hätte vor Ausbruch der Kämpfe nie zugestimmt, sie aufzugeben. Nun ist die Frage, welche Wahl sie hat, wenn Moskau sie nicht entschiedener unterstützt. Zumal Aserbaidschan nun bereits zahlreiche Ortschaften zurückerobert hat.

Der Kreml stößt sich vor allem an den syrischen Söldnern, die offenbar auf aserbaidschanischer Seite kämpfen. Außenminister Lawrow sagte kürzlich in einem Interview, es handele sich um beinahe 2000 Kämpfer. Putin sprach das Thema am Samstag auch in einem Telefonat mit dem französischen Präsidenten Emmanuel Macron an. Frankreich und Moskau leiten gemeinsam mit den USA die sogenannte Minsker Gruppe in der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE), die sich seit 1994 um eine Lösung des Konflikts bemüht. Nach Informationen aus Paris waren sich beide Präsidenten einig, dass die Kämpfe beendet werden müssen.

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