Bergkarabach:Kämpfe um den "schwarzen Garten"

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Der armenische Ministerpräsident Nikol Paschinjan hat sich an Armeniens Schutzmacht Russland und an Frankreich gewandt. (Foto: AFP)

Soldaten Armeniens und Aserbaidschans schießen wieder aufeinander, weil beide Länder die Kaukasusregion Bergkarabach beanspruchen. Moskau und Ankara mischen in dem Konflikt mit.

Von Tomas Avenarius, Istanbul

Im Kaukasus droht Krieg. Zwischen den Truppen der verfeindeten Nachbarstaaten Armenien und Aserbaidschan kommt es seit Montag wieder zu Schusswechseln und Gefechten, vereinbarte Feuerpausen werden gebrochen. Beide Seiten meldeten am Dienstag den Tod von jeweils etwa 50 ihrer Soldaten. Die Regierungen der seit den frühen Neunzigerjahren tief verfeindeten Ex-Sowjetrepubliken beschuldigten sich gegenseitig: Jerewan warf Aserbaidschan "Provokationen" vor. Aserbaidschanische Artillerie habe armenische Stellungen beschossen. Aserbaidschans Regierung in Baku sprach Reuters zufolge hingegen von armenischer Sabotage: "Die Verantwortung für die Situation liegt bei der militärisch-politischen Führung Armeniens."

Der armenische Ministerpräsident Nikol Paschinjan wandte sich an Armeniens Schutzmacht Russland und bat Präsident Wladimir Putin um internationales Einschreiten. Diplomatische Hilfe suchte er auch bei Frankreichs Staatschef Emmanuel Macron; Frankreich hat traditionell enge Beziehungen zu Armenien.

Die neuen Kämpfe in der Kaukasus-Region können kaum überraschen. Die Nachbarstaaten streiten seit drei Jahrzehnten um Bergkarabach, eine Gebirgsregion im Südkaukasus. Der letzte Krieg hatte im Herbst 2020 stattgefunden: Bakus Truppen konnten die Armenier zurückdrängen, aber nur Teile der ursprünglich aserbaidschanischen Region zurückgewinnen. Möglicherweise könnte Baku nun versuchen, im Schatten des Ukraine-Krieges weitere Gebiete zurückzuerobern. Beunruhigend ist, dass diesmal offenbar nicht Bergkarabach selbst angegriffen wurde, sondern Stellungen bei den Städten Goris, Sotk und Dschermuk. Diese liegen auf dem eigentlichen Gebiet Armeniens.

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Im jahrzehntealten Konflikt kommt es wieder zu schweren Kämpfen mit Artillerie und großkalibrigen Waffen. Die Attacken dauern trotz einer angeblichen Feuerpause an, die Konfliktparteien beschuldigen sich gegenseitig.

Völkerrechtlich Teil von Aserbaidschan, doch überwiegend von Armeniern bewohnt

Die Gebirgsregion Bergkarabach - "der schwarze Garten" - war nach der Auflösung der Sowjetunion völkerrechtlich an die junge, überwiegend von Muslimen bewohnte Republik Aserbaidschan gefallen. Die Region wird aber von Armeniern bewohnt. Die christlich geprägte Nachbarrepublik Armenien erhob deshalb ebenfalls Anspruch. Sie betrachtet das Gebiet als historisch zu Armenien zugehörig.

Der Konflikt ist also auch eine Folge innersowjetischer Grenzziehungen. Diese missachteten die ethnischen und religiösen Gegebenheiten in den Sowjetrepubliken, um den Machterhalt Moskaus zu stärken. Nach dem Zerfall der Sowjetunion hatten sich armenische Kräfte in einem Krieg von 1992 bis 1994 die Kontrolle über die Region gesichert und mit der Republik Bergkarabach eine Art Satellitenstaat errichtet. Im Herbst 2020 eroberte Aserbaidschan Teile seiner Gebiete zurück. Die Einnahme von ganz Bergkarabach scheiterte aber an einem von Russland nach 44 Kriegstagen durchgesetzten Waffenstillstand.

Bei der Eroberung Bergkarabachs durch Armenien in den frühen Neunzigerjahren waren auch Teile der Ebenen erobert worden, die die Gebirgsregion umgeben. Auf diese konnte kein armenischer Anspruch gerechtfertigt werden, Baku hatte sie zurückgefordert. Jerewan nutzte die Bezirke in der Ebene aber als militärische Pufferzone für Bergkarabach. Große Teile der in der Ebene gelegenen sieben aserbaidschanischen Bezirke wurden 2020 zurückerobert. Auch in der Gebirgsregion selbst kamen die Aserbaidschaner überraschend schnell voran und eroberten die Stadt Schuscha. Weite Teile von Bergkarabach selbst, und dort Stepanakert als größte Stadt, blieben aber in armenischer Hand.

Für die Türkei geht es auch um einen Landkorridor zum Kaspischen Meer

Baku, das seine Streitkräfte in den Jahren zuvor dank seiner Rohstoffeinnahmen modernisiert hatte, traf 2020 auf einen militärisch klar unterlegenen Gegner. Aserbaidschan profitierte zudem von der Unterstützung des Nachbarlandes Türkei; Ankara hatte die Armee trainiert und mit Kampfdrohnen ausgestattet. Die in den Bergen eingegrabenen Armenier verfügten nur über veraltete sowjetisch-russische Waffen.

Armeniens Schutzmacht Russland schaltete sich zudem erst spät ein: Moskau handelte gemeinsam mit Ankara einen Waffenstillstand aus. Russland und die Türkei sollten diesen garantieren, wobei Moskau die größere Rolle zukam. Ohne das Einschreiten Moskaus wäre die Niederlage für Jerewan noch drastischer ausgefallen.

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Ein wichtiger Teil der Übereinkunft war neben den Waffenstillstandslinien, dass Aserbaidschan durch einen Landkorridor mit der Türkei verbunden wird. Bisher grenzte nur die zu Aserbaidschan gehörende Exklave Nachitschewan an die Türkei. Der Korridor durch armenisches Gebiet soll eine Landverbindung von der Türkei bis an die aserbaidschanische Küste des Kaspischen Meeres ermöglichen und Ankara Handelsrouten nach Zentralasien eröffnen.

Für die Türkei ist das rohstoffreiche Aserbaidschan von geostrategischer Bedeutung. Ankara will seinen Einfluss im Südkaukasus ausweiten und Moskau die Vormacht streitig machen: Der gesamte Kaukasus gilt historisch als Hinterhof Russlands. Seit dem Krieg von 2020 hat der türkische Staatschef Recep Tayyip Erdoğan die Beziehungen zur turksprachigen "muslimischen Brudernation" Aserbaidschan weiter vertieft und die Parole "Zwei Staaten und eine Nation" ausgegeben.

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