Flughafen BER:Einsteigen bitte

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Kein Riesenfest, keine Party, nur ein kleiner Empfang - ohne viel Aufhebens soll an diesem Wochenende der Skandalflughafen Flughafen Berlin Brandenburg "Willy Brandt" eröffnet werden - im Bild das Terminal 1. (Foto: Markus Mainka/imago images)

Eigentlich sollte der BER schon vor neun Jahren öffnen, diesen Samstag ist es endlich soweit. Der Flughafen hat Unsummen verschlungen und so manchen Ruf ruiniert. Nun aber hoffen viele auf eine Wende zum Guten, sogar der geschasste Architekt.

Von Jan Heidtmann, Berlin

Den Blick nach vorne richten, Zuversicht ausstrahlen, Steffi Wisotzky gelingt das richtig gut. "Wir werden Botschafter für die Zukunft hier sein", sagt sie. Eigentlich ein etwas hohler Satz, doch Steffi Wisotzky trifft diese Aussage mit einem so unbeirrbaren Nachdruck, dass man sie ihr tatsächlich abnimmt. Botschafter, Zukunft, ja, genau: Los geht's. Seit zwei Wochen schnurrt das Hotel Steigenberger direkt vor dem Terminal 1 des neuen BER im Probebetrieb. An diesem Samstag wird eröffnet. "Da gehört es für mich dazu, Zuversicht auszustrahlen, auch gegenüber meinen Mitarbeitern."

Steffi Wisotzky, 42, blondes Haar, wache Augen, ist seit Anfang des Jahres die Generaldirektorin des Hotels, und jetzt ist es der zweite Anlauf, den das Haus nimmt. "2012 waren wir startklar", sagt sie, nur der Flughafen war es nicht. Also wurde das Hotel über acht Jahre in eine Art Winterschlaf versetzt, "still bewirtschaftet", wie sie es nennt. Man könnte auch sagen: Man hat hier acht Jahre lang die Leere verwaltet. Von den 80 Mitarbeitern blieb nur eine Handvoll, um das Haus vor dem Verfall zu bewahren. Regelmäßig die Toiletten spülen, Zimmer lüften, ein Zustand irgendwo zwischen Stanley Kubricks Horrorfilm "Shining" und den Hochglanzbroschüren der Steigenberger-Gruppe. Als sie dann in diesem Sommer zum ersten Mal die Lichter in der Lobby leuchten sah, da dachte Frau Wisotzky "wow". Sie haben dann noch einen gedeckten Tisch auf das leere Rollfeld gestellt und einen kleinen Werbefilm für das Hotel gedreht. Nun bekommt das Ganze endlich einen Sinn, am Samstag können die ersten Gäste einchecken. Frau Wisotzky schaut von ihrem Sessel in der Hotelbar rüber zum Terminal 1, der sich in der Dunkelheit eingemummelt hat: "Es ist Zeit, dass da Leben reinkommt."

Acht Jahre Winterschlaf: Am Wochenende wird auch das Flughafenhotel die ersten Gäste begrüßen. (Foto: Adam Berry/Getty Images)

Nun ist es ja nicht so, dass hier am BER in der vergangenen Dekade keine Menschen gewesen wären. Ganz im Gegenteil. Mehrere Ministerpräsidenten und Regierende Bürgermeister waren da, dazu Geschäftsführer der Flughafengesellschaft, Ingenieure, Architekten, Heerscharen von Bauarbeitern, Mitglieder von zwei parlamentarischen Untersuchungsausschüssen und immer wieder Journalisten. In unzähligen Berichten und jeder Menge Büchern haben sie dann davon berichtet, was alles schiefgelaufen ist auf Deutschlands peinlichster Baustelle. Die Zahl der Witze über den BER ist inzwischen so vielfältig wie die Mängelliste, die hier seit 2013 abgearbeitet werden musste. Nur die Menschen, um die es hier eigentlich gehen soll, die waren nicht da: Reisende. Also die Menschen, die aus dem BER den Ort machen, der er eigentlich sein soll. Einen Flughafen.

Das ändert sich an diesem Samstag nun auf einen Schlag. Etwa 5000 Fluggäste werden am Eröffnungswochenende im Terminal 1 erwartet. Den Anfang machen zwei Sonderflüge von Lufthansa und Easyjet, die um 14 Uhr parallel landen sollen. Sie bringen einige der circa 50 Gäste für den kleinen Empfang zur Eröffnung, am Abend dann beginnt der reguläre Flugverkehr. "Wir machen einfach auf", lautet die Losung, die Flughafen-Chef Engelbert Lütke Daldrup ausgegeben hat. Die Verzögerung um zehn Jahre und Baukosten, die sich verdreifacht hätten, da gebe es nichts zu feiern.

Tag für Tag werden weitere Fluggesellschaften an den BER umziehen, am Sonntag kommender Woche soll der alte Flughafen Tegel endgültig schließen. Air France, die 1960 die erste zivile Fluggesellschaft war, die in Tegel landete, wird auch die letzte sein, die ihn verlässt. Flug AF1235 Richtung Paris-Charles de Gaulle. Dann wird auch das Kürzel TXL verschwinden. Die Abkürzung des alten Flughafens Schönefeld, SXF, ist bereits seit Mitte der Woche Geschichte.

"Wir machen einfach auf": An diesem Wochenende werden im Terminal 1 des BER 5000 Fluggäste erwartet. (Foto: Annegret Hilse/REUTERS)

Nachdem der BER zehn Jahre lang der gesamten Welt gezeigt hat, was so alles schiefgehen kann, hat die Flughafengesellschaft die Eröffnung minutiös vorbereitet. Seit Anfang des Jahres wurden Mitarbeiter, Sicherheitspersonal und die Angestellten der Fluggesellschaften im Terminal 1 trainiert. Außerdem haben seit Juli fast 10 000 Freiwillige das Gebäude ausgiebig getestet. Mitsamt Gepäck, Rollstühlen, Sicherheitskontrollen und Feueralarm. Nur richtig durchstarten durften sie nicht. Die Beschilderung wurde dann noch einmal verbessert, Mülleimer wurden vergrößert. Da es noch weniger Mobiltelefone gab, als der Wartebereich konzipiert worden war, rüstete man die Sitzbänke mit Ladevorrichtungen nach. "Der Three-Letter-Code BER wird ab jetzt als Botschafter in die Welt fliegen", sagt Flughafen-Chef Daldrup.

Doch mit dem Blick nach vorne ist es gar nicht so leicht, wenn es dort ziemlich trübe aussieht. Die Corona-Pandemie beschert dem BER zwar ein "soft opening", eine weiche Eröffnung. Aber vor allem verhagelt sie der Flughafengesellschaft das Geschäft. Am kommenden Wochenende, wenn Tegel geschlossen hat, wird mit etwa 16 000 Passagieren am Terminal 1 gerechnet, dazu kommen 8000 weitere am Terminal 5, dem früheren Flughafen Schönefeld. Gemessen an den Monaten Oktober und November vergangenen Jahres sind das gerade einmal 20 Prozent der Passagiere. Die jüngst beschlossenen Einschränkungen wegen der Corona-Pandemie sind da noch nicht einmal berücksichtigt. Das Ganze hat schon etwas Tragisches: Der BER macht gerade dann auf, wenn man ihn am wenigsten braucht. Praktisch heißt dies, dass der Flughafen auf Jahre ein Zuschussbetrieb für den Bund, Berlin und Brandenburg bleiben wird.

Mit dem Blick nach vorne ist es beim BER auch nicht so einfach, weil die Vergangenheit immer noch heftig an ihm zerrt. Das fängt schon mal mit dem Spaten an, der in der Ecke des kleinen Konferenzraums des Architekturbüros Gerkan, Marg und Partner steht. Hier wurde der Hauptstadtflughafen konzipiert und die schmale Schaufel stammt tatsächlich vom ersten Spatenstich 2006. Hans Joachim Paap war damals mit dabei, gemeinsam mit dem Architekten Hubert Nienhoff hat er den BER entworfen, und seitdem hat der Flughafen ihn nicht mehr losgelassen. Ein halbes Berufsleben lang. Er hätte das Büro fast in den Ruin getrieben und Paap fast verzweifeln lassen. Egal, was er noch anfasste: Immer wieder musste er sich für die Pleiten des BER rechtfertigen.

"Ich denke, das Urteil wird positiv ausfallen": Hans-Joachim Paap ist einer der beiden Architekten, die den Flughafen entworfen haben. (Foto: Kay Nietfeld/picture alliance/dpa)

Die Flughafengesellschaft brauchte einen Schuldigen für das selbst angerichtete Desaster und entschied sich vor aller Öffentlichkeit für die Architekten. Mit einem dürren Fax wurden an einem Morgen im Mai 2012 dem Büro die Verträge gekündigt. Es gab eine langwierige und harte gerichtliche Auseinandersetzung, Paap blieb trotzdem immer im Gespräch mit dem Flughafen. "Es geht nicht darum, einen Bauherrn glücklich zu machen, sondern das Projekt gut zu machen", sagt Paap. Der einzige Vertrag, der damals von der Flughafengesellschaft mit dem Architekturbüro nicht gekündigt wurde, war ausgerechnet der zum "Raum der Stille", dem Andachtsraum im Flughafen. Paap hat ihn in diesem Frühjahr an die Flughafengesellschaft übergeben.

Paap, 60, ist ein großer Mann mit einer sehr freundlichen Art. Aber es kostet ihn einige Mühe, der Eröffnung etwas Gutes abzugewinnen. "Vielleicht wird der eine oder andere auch staunen. Es hat ja so viel negative Berichterstattung gegeben", sagt er. Trotz der Streitigkeiten sind Nienhoff und Paap eingeladen worden, doch Paap freut etwas ganz anderes. "Jetzt kommen Menschen, um den Flughafen zu benutzen. Sie werden urteilen, und ich denke, das Urteil wird positiv ausfallen. Das ist dann die größte Auszeichnung für uns." Vielleicht läuft es ja wie bei der Elbphilharmonie in Hamburg. Auch dort sind Kosten explodiert und Termine reihenweise gerissen worden, über Jahre das Thema in der Stadt. Als die Philharmonie dann schließlich öffnete, waren die Hamburger begeistert.

Paap kann zumindest sehr gut erklären, warum er glaubt, dass der BER bestens funktionieren wird. Die kurzen Wege im Flughafen, die großen Räume dort, wo viele Menschen unterwegs sind. Die warmen Materialien, von den Bodenplatten aus Jura-Kalkstein bis zum Nussbaumfurnier an den Check-ins. Die Möglichkeiten, den Flughafen auszubauen, ohne ein Wirrwarr unterschiedlichster Gebäude anzurichten wie an so vielen anderen Flughäfen. "Dass jemand sagt, der Flughafen sei aus der Zeit gefallen, unmodisch, nicht aktuell, ist eher ein Lob", meint Paap. Und in welchen anderen Flughafen könne man schon direkt mit dem Fernzug hineinfahren? Mehr als zwei Drittel der Reisenden werden mit Bahn oder Bus zum Flughafen kommen, damit wird gerechnet, nur ein knappes Drittel mit dem Auto. "Das ist in München genau umgekehrt", sagt Paap.

Wird nun alles funktionieren? Beim Probelauf im Terminal 1 des Hauptstadtflughafens im Sommer waren Hunderte von Flughafen-Mitarbeitern und Freiwilligen dabei. (Foto: Sören Stache/picture alliance/dpa)

Überhaupt München. Anders als der Bau des Flughafens Berlin Brandenburg "Willy Brandt" gilt der Bau des Flughafens München "Franz Josef Strauß" als große Erfolgsgeschichte. "Die einen feiern, die anderen jammern", hatte Markus Söder 2012 gespottet. Söder war da noch bayerischer Finanzminister, der Flughafen München wurde gerade 20 und der BER mal wieder nicht eröffnet. Dabei war es vor allem der spektakuläre Umzug binnen einer Nacht, live im Fernsehen übertragen, der den Mythos vom MUC begründet hat. Tatsächlich aber wurde 23 Jahre an dem Flughafen geplant und gebaut, nur wenig kürzer als am wesentlich größeren BER. Aus Kosten in Höhe von 2,6 Milliarden Mark wurden schließlich 8,3 Milliarden. Die Bayern haben das nur besser verkauft.

Die Vergangenheit schwer, die Zukunft trüb. "Wir freuen uns, wenn diese herausfordernde Phase überstanden ist", hatte die Hotelmanagerin Steffi Wisotzky noch mit diesem unbeirrbaren Lächeln gesagt. Ja, genau: Los geht's. Es hilft ja nichts.

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