Bremer Bamf-Skandal:"Nicht verboten, mit einer Beamtin befreundet zu sein"

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Der Hildesheimer Anwalt Irfan Cakar ist einer der Hauptbeschuldigten in der Bremer Bamf-Affäre. (Foto: NDR)
  • Der Bremer Bamf-Skandal brachte vergangenes Jahr die Republik in Aufruhr, von tausendfachem Asylmissbrauch war die Rede.
  • Nun meldet sich einer der Hauptbeschuldigten zu Wort - und widerspricht den Vorwürfen. Die dortige Leiterin habe das Asylrecht "human ausgelegt".
  • Die Staatsanwaltschaft begründet indes aus dem E-Mail-Verkehr eine besondere Nähe zwischen dem Anwalt und der Leiterin.

Von Ralf Wiegand

Es war einer der großen Skandale des vergangenen Jahres. Womöglich tausendfacher Asylmissbrauch, ein Amt außer Rand und Band, Vermittler, die Asylsuchende mit den "richtigen" Anwälten zusammenbringen und Anwälte, die in den Ämtern wiederum die "richtigen" Leute kennen. Eine korrupte Bande: Auf dieser Flughöhe nahm vor fast zwölf Monaten die Bremer Staatsanwaltschaft Ermittlungen rund um die Bremer Außenstelle des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge (Bamf) auf.

Sie bildete die Ermittlungsgruppe "Antrag", mit zeitweise 38 Köpfen die größte, die es in der Hansestadt je gab, hörte Telefone ab, durchsuchte Anwaltsbüros, beschlagnahmte Computer. Die damalige Leiterin der Bamf-Zentrale, Jutta Cordt, verlor ihren Job, der Innenausschuss des Bundestags ließ sich ständig berichten, Bundesinnenminister Horst Seehofer machte die "Zustände" zur Chefsache, und sein Staatssekretär Stephan Mayer beklagte schon "kriminelle Vorgänge", als die Ermittlungen kaum begonnen hatten. Das Wort Antiabschiebeindustrie entstand.

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Irfan Çakar, 40, Rechtsanwalt aus Hildesheim, ist einer der Hauptbeschuldigten. Gegen mehrere Personen ermittelt die Staatsanwaltschaft wegen möglicher Verstöße gegen das Asyl- und das Aufenthaltsgesetz sowie wegen Urkundenfälschung. Çakar ist der Erste, der sich öffentlich zu Wort meldet und mit Reportern von SZ und NDR gesprochen hat. Die Vorwürfe der Ermittler, er habe mit der damaligen Leiterin der Bremer Bamf-Stelle und einem Oldenburger Anwaltskollegen gemeinsame Sache gemacht, habe die Amtschefin womöglich sogar mit Hotelübernachtungen geschmiert und so seinen Mandanten rechtswidrig Asyl in Deutschland verschafft, weist er zurück: "Es ist niemals Geld geflossen, und es sind keine Asylbescheide rechtswidrig ergangen."

Çakar und die ehemalige Dienststellenleiterin seien tatsächlich gut befreundet. Çakar ist jesidischer Herkunft, kam als Sechsjähriger mit seinen Eltern aus der Türkei nach Deutschland. Auch weil sein Vater in Hildesheim ein Veranstaltungszentrum betreibe und viele kurdische Hochzeiten ausrichte, mithin "bekannt ist wie ein bunter Hund", sagt Çakar, seien vor allem jesidische Mandanten zu ihm gekommen, zum jesidischen Anwalt, den jeder kenne.

Nur sehr wenige positive Entscheide mussten zurückgenommen werden

Die Bremer Dienststellenleiterin habe er 2014 über einen Asylfall kennengelernt, sie habe sich sehr für das Schicksal der Jesiden interessiert, "mich hat das berührt", sagt der Anwalt. So sei sie eine Freundin der gesamten Familie Çakar geworden. "Sie kennt meine Frau, meine Eltern, sie schickt meinen Kindern zu Geburtstagen Schokolade", sagt Çakar. In der Bamf-Filialchefin aus dem Norden habe er jemanden gehabt, "den ich mal anrufen und nach einem Sachstand fragen konnte". In den Ämtern habe sonst Chaos geherrscht.

Dass der Hildesheimer Anwalt Fälle seiner Mandanten in Bremen entscheiden ließ, sei damals rechtskonform gewesen; ohnehin hätten seine Mandanten als Angehörige einer verfolgten Minderheit einen Schutzstatus genossen, der auch an anderen Bamf-Standorten zum Bleiberecht geführt hätte. Auch seien nicht alle seine Anträge in Bremen durchgegangen. Unter Asylanwälten habe das Bremer Bamf aber "den Ruf gehabt, wenigstens halbwegs zu funktionieren". Die dortige Leiterin habe das Asylrecht "human ausgelegt".

Die Staatsanwaltschaft begründet indes vor allem aus dem E-Mail-Verkehr zwischen Çakar und der Bremer Bamf-Chefin eine besondere Nähe zwischen den beiden, womöglich eine einseitige Zuneigung der Frau zu dem deutlich jüngeren, charmanten, eleganten Anwalt. Nach Ansicht der Staatsanwaltschaft hat sich der Verdacht "erhärtet". Das sagte ihr Sprecher Frank Passade am Donnerstag, man sei "guter Hoffnung, dass wir zumindest einen wesentlichen Teil der Ermittlungen im Sommer werden abschließen können". Die ehemalige Bremer Bamf-Leiterin und die beiden beschuldigten Anwälte sollen demnach in der Hansestadt eine Art letzte Instanz für schwere Asylfälle eingerichtet haben, die Dienstellenchefin vor allem deshalb, um dem Anwalt zu gefallen. Eine "Motivlage im zwischenmenschlichen, emotionalen Bereich", nennt das die Staatsanwaltschaft. Çakar sagt, das sei lächerlich, aber "meines Wissens ist es auch nicht verboten, mit einer Beamtin befreundet zu sein".

Çakars eigener Anwalt, Henning Sonnenberg, hält die Wendung, den Bamf-Skandal nun in eine unglückliche Liebesgeschichte zu überführen, für "abenteuerlich. Normalerweise ist es im Strafrecht so, dass du eine Tat hast und den Täter suchst. Hier hat man vermeintliche Täter und sucht verzweifelt eine Tat".

Auch die Frage nach dem womöglich entstandenen Schaden steht im Raum. Das Innenministerium hat bestätigt, dass zwar rund 13 000 seit dem Jahr 2000 in der Hansestadt angelegten Asylakten überprüft, aber nur 28 positive Entscheide zurückgenommen worden seien. Elf davon hätten Mandanten von ihm betroffen, sagt Çakar, sechs solcher Rücknahmen seien inzwischen gerichtlich korrigiert worden. "Eine Nummer, die als Staatsaffäre begonnen hat", findet Sonnenberg, "macht sich sang- und klanglos vom Acker."

© SZ vom 22.03.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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