Mehr als 20 000 offene Stellen:Von wegen Trucker-Romantik

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Sieht nach der großen Freiheit aus. Tatsächlich sind Fahrten durch die unbewohnte Weite Australiens für viele Fahrer eine Belastung: Langeweile, soziale Isolation, kein Zugang zu frischem Essen. (Foto: imago stock&people)

In Australien können sich nur noch wenige für die Einsamkeit des Langstreckenfahrers begeistern. Es fehlen Tausende Lkw-Fahrer. Nun sucht die Regierung nach Lösungen.

Von Thomas Hahn, Sydney

Der Umzugsunternehmer Denis Thompson, 68, fuhr schon kreuz und quer durch Australien, als die Laster noch keine Klimaanlage hatten. 1983 stand er bei 53 Grad in der Nullarbor-Wüste. In seinen aktivsten Zeiten passierte er schwelende Brände in South Australia, überflutete Straßen in Queensland, insgesamt 170 000 Kilometer pro Jahr zwischen Darwin, Cairns, Perth, Brisbane und Adelaide. Einmal nahm er den eiligen Auftrag eines Bestattungsunternehmens in seiner Heimatstadt Warrnambool, Bundesstaat Victoria, an. Tagesfahrt mit Leiche. Was man nicht alles tut für die Kundenzufriedenheit.

Und dass sein Gewerbe ein Problem hat, wusste Thompson schon vor elf Jahren. "Es fehlen junge Leute, die Fernfahrer werden wollen", sagte er damals im Warrnambool Standard, das werde "ein Problem für die Zukunft".

Denis Thompson hatte recht. Der Verband Trucking Australia (ATA) hat ihn vergangenen Freitag in Gold Coast als "Profi-Fernfahrer des Jahres" ausgezeichnet. Und das hatte sicher auch damit zu tun, dass man sich wieder mehr Leute wie ihn wünschte, die die Einsamkeit des Langstreckenfahrers zu schätzen wissen. Laut dem Jobsuche-Portal Seek gab es Ende April in Australien 20 900 unbesetzte Stellen für Fernfahrer. In der Zeitung The Australian sagt der Logistik-Unternehmer Brad Rogers: "Das Hauptproblem des Lkw-Transports jeder Art in Australien ist aktuell der Fachkräftemangel."

Überall auf der Welt fehlen Fernfahrer. Die Gründe dafür sind vielfältig. Aber zusammenfassend kann man sie wohl so beschreiben, wie das der Transport-Ökonom Hanno Friedrich von der Hamburger Hochschule Kühne Logistics University im US-Nachrichten-Portal Vox getan hat: "Es ist ein Scheiß-Job."

Das stimmt besonders in Australien. In dem riesigen Land leben nur 25,8 Millionen Menschen. Die Fahrten unter Zeitdruck durch die unbewohnte Weite sind eine Belastung: Langeweile, soziale Isolation, kein Zugang zu frischem Essen. Die Straßen sind teilweise schlecht, die Bezahlung ist es auch. Weil die Fahrten durch diverse Verwaltungsbezirke führen, gibt es ständige Sicherheitskontrollen. Und die Bundesregierung ist langsam, wenn es darum geht, das Lkw-Fahren sicherer, einträglicher und mit Elektro-Antrieb sauberer zu machen. Seit November 2018 tüftelt das zuständige Gremium an Reformen. Bisher "ohne eine einzige Zeile, die man dem Parlament zur Abstimmung vorlegen könnte", wie ATA-Vorstand David Smith wütend feststellt.

Immerhin unterstützt die Regierung einen der Lösungsansätze für den Fernfahrermangel: ein neues Ausbildungsprogramm. Auch schnellere Arbeitserlaubnisse für Flüchtlinge sollen helfen. Weitere Ideen? In den USA hat der Einzelhandelsriese Walmart das Jahresgehalt für Berufseinsteiger auf 110 000 US-Dollar erhöht.

Denis Thompson jedenfalls hat getan, was er konnte gegen die Krise, inklusive Nachwuchspflege. Tochter Leah Cozens ist eine überzeugte Fernfahrerin. Mit ihrem Mann hat sie das Umzugsunternehmen des Vaters übernommen. Und wie dieser hat sie zuletzt eine besondere Ehre erfahren: Leah Cozens' Bild im firmeneigenen Fuhrpark wurde auserwählt. Es schmückt die Frontseite des 2021/22-Branchenbuchs für Warrnambool und Umgebung.

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