Aufenthaltsrecht:Was geht vor: abschieben oder ermitteln?

Köthen - Weitere Entwicklungen

Polizisten begleiten eine Kundgebung für den verstorbenen 22-Jährigen Markus B.

(Foto: dpa)
  • In Köthen sitzen zwei Afghanen wegen des Verdachts auf schwere Körperverletzung mit Todesfolge am 22-jährigen Markus B. in Untersuchungshaft.
  • Die Ausländerbehörde wollte einen der beiden Geflüchteten bereits im April abschieben.
  • Die Staatsanwaltschaft kann Abschiebungen verhindern, wenn die Polizei gegen Ausreisepflichtige strafrechtlich ermittelt.

Von Helena Ott

Warum manche abgelehnte Asylsuchende noch mehrere Monate in Deutschland bleiben, ist häufig schwer zu vermitteln und führt in sozialen Netzwerken regelmäßig zum Aufschrei. Auch dann, wenn Recht und Gesetz eine Abschiebung verhindern. So wie in Köthen: Die Ausländerbehörde in Sachsen-Anhalt hatte den Asylantrag eines der beiden tatverdächtigen Afghanen schon im Frühjahr abgelehnt. Gegen ihn wird in Zusammenhang mit dem Tod des 22-jährigen Markus B. wegen Verdacht auf Körperverletzung mit Todesfolge ermittelt. Der Mann war als unbegleiteter minderjähriger Geflüchteter nach Deutschland eingereist, ist inzwischen aber volljährig. Im April wollte ihn die Ausländerbehörde abschieben. Zu dieser Zeit ermittelte aber bereits die Staatsanwaltschaft gegen ihn - unter anderem wegen Körperverletzung. Aber welches Interesse wiegt in Deutschland eigentlich höher: das der Abschiebung oder der Strafverfolgung?

Wenn der Staat gegen einen Asylsuchenden strafrechtlich ermittelt, muss die Staatsanwaltschaft laut dem Aufenthaltsgesetz einer Abschiebung zuerst zustimmen. Dieses Einverständnis erteilt die Staatsanwaltschaft aber in der Regel nur bei weniger gewichtigen Delikten - wie Ladendiebstahl, Schwarzfahren oder Beleidigung.

Da die Polizei gegen den Asylbewerber aus Köthen aber zur Zeit der geplanten Abschiebung im April unter anderem wegen Körperverletzung ermittelte, erteilte die Staatsanwaltschaft ihr Einverständnis nicht.

"Es wäre schwer, einem Opfer einer Straftat zu erklären, warum ein Täter nicht zur Rechenschaft gezogen wird und stattdessen ohne strafrechtliche Konsequenzen das Land verlassen hat", sagt Thomas Oberhäuser, Vorsitzender der Arbeitsgemeinschaft Migration im Deutschen Anwaltverein. In solchen Fällen überwiege das Interesse der Strafverfolgung, sagt Oberhäuser. "Das ist auch gut so."

Die Staatsanwaltschaft kann die zuständige Ausländerbehörde so lange an der Abschiebung hindern, bis ihre Ermittlungen abgeschlossen sind. Falls ein deutsches Gericht straffällige Geflüchtete zu einer Freiheitsstrafe, ohne Bewährung, verurteilt, müssen sie auch in Deutschland ins Gefängnis.

Nach dem Gerichtsurteil kann die Staatsanwaltschaft entscheiden, ob der Täter die Strafe vollständig absitzen muss. Frühestens nach der Hälfte der Haftzeit darf ein Ausreisepflichtiger abgeschoben werden. Hier wägt die Staatsanwaltschaft ab, ob das Interesse an einem weiteren Strafvollzug, dass Interesse an einer Abschiebung überwiegt.

Verlust des Asylrechts nur bei schweren Straftaten

Der Fall, dass Asylsuchende wegen einer Straftat ihr Recht auf Asyl verwirken, sagt Rechtsanwalt Oberhäuser, sei "selten und mit hohen Hürden verbunden." Nur wenn ein Geflüchteter wegen eines schweren Delikts zu einer Haftstrafe von mindestens drei Jahren verurteilt wird und das Gericht die Prognose ausspricht, dass der Straftäter rückfallgefährdet ist, kann die Ausländerbehörde ihm das Recht auf Asyl verwehren.

Ausnahmen regelt das Gesetz in Paragraph 60 des Aufenthaltsgesetzes. Danach kann der Asylstatus auch dann verwehrt werden, wenn ein Geflüchteter beispielsweise vorsätzliche Körperverletzung begeht und ein Gericht ihn zu einer Haftstrafe von einem Jahr verurteilt.

Auch Straftäter schützt das Völkerrecht

Im Februar 2016 hat der Bundestag beschlossen, das Ausweisungsrecht zu verschärfen, um straffällig gewordenen Ausländern bereits bei Bewährungsstrafen das Aufenthaltsrecht zu verweigern. Die neue Regelung ist laut Migrationsrechtsexperte Oberhäuser jedoch problematisch - bisher fehlten noch gerichtliche Entscheidungen, um abschließend zu klären, ob das Gesetz mit dem Völkerrecht in Einklang steht.

Zudem gilt auch für Asylsuchende, die schwere Straftaten begangen haben, die Europäische Menschenrechtskonvention. Für Staaten, in denen Folter oder unmenschliche Behandlung droht, gilt ein Abschiebeverbot nach Artikel 3. Die Geflüchteten können dann zwar den Asylstatus verlieren, dürfen nach dem Strafvollzug aber weiterhin mit einer Duldung im Land bleiben. Möglich ist die Abschiebung für straffällige Asylberechtigte also nur in Staaten, in denen keine Verletzung ihrer Menschenrechte droht, beispielsweise in sogenannte sichere Drittstaaten. Das sind jene Länder, über die sie in die Europäische Union eingereist sind und in denen sie ein Aufenthaltsrecht hatten.

Am 23. August stellte die Ausländerbehörde für den Afghanen aus Köthen erneut einen Antrag auf Abschiebung bei der Staatsanwaltschaft. Zwei Tage vor der Auseinandersetzung mit Markus B. auf einem Köthener Spielplatz war die Staatsanwaltschaft mit der Abschiebung einverstanden. Noch bevor die Abschiebung vorbereitet werden konnte, steckt die Polizei nun in neuen Ermittlungen. Beide Afghanen sitzen wegen des Verdachts der schweren Körperverletzung mit Todesfolge in Untersuchungshaft.

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