Asylverfahren:Ausgefragt und abgeschoben

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Asyl-Anwälte schlagen Alarm: Immer öfter mischen sich örtliche Ausländerämter in laufende Asylverfahren ein, obwohl es sie eigentlich nichts angeht. Schlimmer noch: Bei der Beurteilung greifen sie teils auf äußerst unsichere Quellen zurück.

Inga Rahmsdorf

Kenegt? Von so einer Partei hatte der Sachbearbeiter bei der Ausländerbehörde der Regierung von Mittelfranken noch nie etwas gehört. Das kam ihm verdächtig vor: Denn ein Flüchtling aus Äthiopien hatte sich bei einer Befragung durch die Behörde als Mitglied der ominösen Kenegt-Partei ausgegeben - und damit in den Augen des Sachbearbeiters gelogen, um Asyl zu erhalten.

Immer häufiger befragen Behörden systematisch Asylsuchende und setzen sie unter massiven Druck. (Foto: dpa)

Als Beweis dafür reichte der Ausländerbehörde ein Ausdruck aus dem Online-Lexikon Wikipedia: "Der Name der Partei Kenegt konnte nicht gefunden werden", schreibt der Beamte: Bei Wikipedia gebe es keinen Eintrag. Schlechte Aussichten also auf Asyl für den Flüchtling aus Äthiopien.

Der Vorgang sagt freilich weniger über die Glaubwürdigkeit des Flüchtlings aus als über die schlampige Arbeitsweise der Ausländerbehörden: Bei der Beurteilung von Asylbewerbern greifen Beamte auf unsichere Quellen wie Wikipedia oder Google Maps zurück. Und das, obwohl es die örtlichen Behörden gar nichts angeht: Ausschließlich das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) in Nürnberg ist in Deutschland zuständig für die Entscheidung, ob ein Flüchtling Asyl erhält. Doch bundesweit mischen sich lokale Behörden vor allem am Anfang immer häufiger in laufende Verfahren ein. Zu diesem Ergebnis kommt eine Untersuchung der Rechtsberaterkonferenz, einem Zusammenschluss von Asyl-Anwälten in Deutschland.

Die Anwälte stellten darin fest, dass gerade in Mittelfranken und Oberbayern Behörden systematisch Asylsuchende befragen und dabei teilweise unter massiven Druck setzen. Aber auch aus Baden-Württemberg, Hamburg, Niedersachsen und Nordrhein-Westfalen meldeten Rechtsberater solche Einzelfälle. Diese Praxis führt dazu, dass einige Flüchtlinge bis zu sechs Mal interviewt werden und immer wieder dieselben Fragen beantworten müssen. "Die Asylsuchenden blicken überhaupt nicht mehr durch, wer sie befragt", sagt der Münchner Rechtsanwalt Hubert Heinhold, "für sie repräsentieren alle Behörden den deutschen Staat."

Das Problem dabei: Wenn sie schließlich zur Anhörung durch das Bundesamt für Flüchtlinge geladen werden, verschweigen sie relevante Details, da sie diese bereits mehrmals erläutert haben. "In einigen Begründungen, warum ein Asylantrag abgelehnt wurde, steht dann: unglaubwürdig, weil der Asylsuchende von sich aus keine weiteren Angaben gemacht hat", sagt der Rechtsanwalt Heinhold. Mit den Befragungen mischen sich die örtlichen Ausländerbehörden nicht nur in die Zuständigkeiten des Bundesamtes für Flüchtlinge ein, sondern verstoßen auch noch gegen europäisches Recht. Dies schreibt vor, dass in jedem EU-Mitgliedsstaat nur eine Behörde dafür zuständig sein darf, die Asylanträge zu prüfen. Dadurch soll sichergestellt werden, dass eine fachlich kompetente Institution über das Asylgesuch entscheidet. Stattdessen aber führen einige Behörden in Deutschland den Schutzgedanken des Asylrechts ad absurdum.

Denn häufig sind es ausgerechnet die Zentralen Rückführungsstellen, die diese Befragungen vornehmen. Wie ihr Name schon sagt, sind sie zuständig für die Abschiebungen abgelehnter Asylbewerber. Durch die Befragungen mischen sie sich jedoch bereits zu Beginn des Verfahrens ein, wenn das Bundesamt noch gar nicht über den Asylantrag entschieden hat - mit dem Ziel, schneller abschieben zu können.

Die Regierungen von Mittelfranken und Oberbayern erklären das Vorgehen ihrer Behörden damit, dass es häufig lange dauere, bis das Bundesamt seine Anhörung vornehme. Sprecher der beiden Regierungen versichern aber, dass sie die Anfrage der Süddeutschen Zeitung zum Anlass nehmen würden, mit dem Bundesamt zu sprechen, um "etwaige Missverständnisse hinsichtlich der Zuständigkeitsabgrenzung auszuräumen und auf kürzere Bearbeitungszeiten hinzuwirken".

Beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge gibt es geschulte Mitarbeiter, die sich mit Asylverfahren und der Situation der Herkunftsländer auskennen, in den regionalen Ausländerbehörden fehlen die Experten dagegen.

Auch an den Sprachkenntnissen hapert es: Mangelhafte oder fehlende Übersetzungen in den Behörden der Bezirksregierungen, befürchtet Heinhold, könnten zu Widersprüchen in den Aussagen führen. Die wiederum lassen den Asylbewerber unglaubwürdig erscheinen. Einige Behörden schicken die Gesprächsprotokolle anschließend an das Bundesamt und sprechen darin Empfehlungen für oder gegen das Asylgesuch aus.

Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge duldet diese Einmischung in seine Zuständigkeiten: Man habe keinen Einfluss auf die Tätigkeiten der einzelnen Länder, sagt ein Sprecher. Ganz ungelegen kommt dem BAMF die Arbeit der Ausländerbehörden aber wohl nicht, denn sie nehmen ihm damit schließlich Arbeit ab.

Es sei zwar nicht an die Empfehlungen gebunden, doch Heinhold zufolge werden die unverlangt eingesandten Unterlagen häufig für die Asylentscheidung herangezogen - "sogar dann, wenn bei dem Verfahren ein Anwalt anwesend ist", sagt er. Auf die Nachfrage dazu antwortet ein BAMF-Sprecher nur, das Bundesamt orientiere sich an einer "eigenständigen und unabhängigen Bearbeitung des Asylverfahrens".

© SZ vom 15.06.2010 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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