Asylpolitik:"Beleg für Tatenlosigkeit"

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Ein halbes Jahr haben die Behörden Zeit, Abschiebe-Verfahren innerhalb der EU abzuschließen. Doch häufig schaffen sie dies nicht. Daher konnten allein im laufenden Jahr bereits 16000 Flüchtlinge nicht überstellt werden.

Von Jan Bielicki, München

Mehr als 60 000 Flüchtlinge sind in den vergangenen vier Jahren nicht in der vorgeschriebenen Frist in eigentlich für ihre Asylverfahren zuständige EU-Länder abgeschoben worden. Allein 2018 hat das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Bamf) bereits etwa 16 000 solcher Überstellungsverfahren abgebrochen - weil sie länger dauerten als sechs Monate. Das bedeutet: Das Bamf musste in diesen Fällen das Asylverfahren in Deutschland abwickeln, obwohl diese Flüchtlinge bereits in anderen EU-Staaten registriert waren. Mit diesen Zahlen beantwortete das Bundesinnenministerium eine Anfrage des FDP-Bundestagsabgeordneten Stephan Thomae. Die Antwort liegt der Süddeutschen Zeitung vor.

Die Zahlen sind ein weiterer Beleg dafür, dass das sogenannte Dublin-System, das die Verteilung von Flüchtlingen innerhalb Europas regeln soll, nur mangelhaft funktioniert. Nach der "Dublin III" genannten EU-Verordnung ist im Regelfall der Mitgliedstaat für das Asylverfahrens eines Flüchtlings zuständig, in dem dieser zuerst registriert wurde. Beantragt er danach in einem anderen EU-Staat, etwa Deutschland, Asyl, können ihn die Behörden laut Verordnung in der Regel wieder in das EU-Land rücküberstellen, in dem seine Fingerabdrücke zuerst in die Datei Eurodac eingegeben wurden. Allerdings setzt das EU-Recht für solche Rücküberstellungen eine Frist: Klappt es damit nicht innerhalb von sechs Monaten, geht die Zuständigkeit für das Asylverfahren an das Land über, in dem er sich gerade befindet.

Bundesinnenministerium nennt Gründe für die schwierigen Überstellungen innerhalb der EU

Die Gründe dafür, dass diese Frist so häufig überschritten wird, seien "vielseitig", schreibt das Innenministerium. Manche davon sind im jeweiligen Zielstaat zu suchen: Zwar gilt laut Verordnung bereits als Zustimmung zu einer Rückübernahme, wenn ein EU-Land auf das entsprechende Ersuchen eines anderen Mitgliedstaates gar nicht reagiert. In der Praxis jedoch haben Abschiebungen nur Erfolg, wenn die Behörden der beteiligten Länder sich dabei absprechen. Einige Mitgliedstaaten jedoch verfügten "nicht über die erforderlichen Kapazitäten", Asylsuchende "im vorgesehenen Umfang aufzunehmen". Andere beachten schlicht grundlegendes EU-Recht zum humanen Umgang mit Flüchtlingen nicht - nach Ungarn etwa wird seit April 2017 kein Flüchtling mehr überstellt.

Andere Gründe sieht das Ministerium von Horst Seehofer (CSU) allerdings auch in Deutschland: So könnten Flüchtlinge am Tag der vorgesehenen Überstellung unauffindbar, im Kirchenasyl oder krank und reiseunfähig sein. Das Ministerium verweist aber auch auf "eingeschränkte Transportmöglichkeiten" und "auch Untätigkeit der zuständigen Ausländerbehörden". "Es darf nicht sein, dass jemand nur deswegen nicht abgeschoben wird, weil die zuständigen Ausländerbehörden untätig geblieben sind", kritisiert Thomae, der Vizevorsitzender der FDP-Bundestagsfraktion ist. Dass seit 2016 "kontinuierlich" mehr Überstellungsverfahren abgebrochen würden, sei "ein Beleg für die Tatenlosigkeit und den Ohnmachtszustand der Bundesregierung".

© SZ vom 29.10.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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