Arbeitszeit:Geht doch

Neulich scheiterte der Versuch, in der ostdeutschen Metallindustrie die 35-Stunden-Woche einzuführen. Aber ein Schraubenhersteller in Thüringen macht es trotzdem - weil er und die IG Metall einander vertrauen.

Von Detlef Esslinger

Wenn man in den großen Städten die Lösung nicht schafft, dann vielleicht in den kleinen? Wenn diejenigen scheitern, die in der Öffentlichkeit stehen, sollte man dann mal auf diejenigen schauen, auf die sonst niemand schaut? Mitte Dezember waren in Berlin die Gespräche geplatzt, die auch der ostdeutschen Metall- und Elektroindustrie die 35-Stunden-Woche hätten bringen sollen, ein Vierteljahrhundert nach dem Westen. Nun bleibt es bei drei Stunden Arbeitszeit pro Woche mehr, wohl auf Jahre noch. Außer bei einer Firma namens Ejot, in einem Ort namens Tambach-Dietharz.

Ejot ist eine jener Firmen, um deren Produkte sich kaum einer Gedanken macht, der Auto fährt, Brille trägt, einen Rasenmäher oder einen Fernseher hat: Es sind vor allem Schrauben, die in Kunststoff halten. Pro Jahr zehn Milliarden Stück. Ejot ist ein Familienunternehmen, das vor fast hundert Jahren bei Bad Berleburg, im Süden von Nordrhein-Westfalen also, gegründet wurde; die Zentrale ist auch heute noch dort. Das Schraubenwerk in Tambach-Dietharz im Thüringer Wald gab es schon in der DDR, Ende 1992 übernahm Ejot es von der Treuhand. Vom ersten Tag an zahlte die Firma Tariflohn, und jetzt stellt sie auf 35 Stunden um. "Beide Werke tragen den gleichen Anteil zum Ergebnis bei", sagt Christian Kocherscheidt, der Firmenchef, wenn er über Bad Berleburg, West, und Tambach-Dietharz, Ost, spricht. "Also haben die Mitarbeiter auch in beiden Werken ein Anrecht auf gleichen Lohn und gleiche Arbeitszeiten."

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Im Westen gilt die 35-Stunden-Woche seit 1995, im Osten kämpfte die IG Metall erneut vergeblich dafür; hier im Sommer in Berlin.

(Foto: Carsten Thesing/imago)

Warum ist in dieser Schraubenfirma möglich, was in der ostdeutschen Metallindustrie sonst nicht möglich ist? Auf diese Frage gibt es mehrere Antworten. Die erste ist, dass der Unternehmer Kocherscheidt offenbar ganz grundsätzlich der Meinung ist: je attraktiver seine Arbeitsplätze, umso besser für seine Firma. Viele Betriebe im Osten sind lediglich verlängerte Werkbänke ihrer Zentralen im Westen. Kocherscheidt hingegen lässt Produkte von den gut 500 Mitarbeitern in Tambach-Dietharz entwickeln, bauen und auch von dort aus vertreiben. Er sagt, das Prinzip Werkbank lohne letztlich nicht. "Dann entwickelt niemand einen 360-Grad-Blick, dann kennen Sie die Probleme von Finanzierung nicht, wissen nicht, wie der Kunde denkt, wie der Lieferant tickt. Dann leben Sie nur in Ihrer eigenen Blase."

Das Projekt mit der Wochenarbeitszeit begann Kocherscheidt vor exakt zwölf Monaten. Zu Beginn des Jahres 2019 reduzierte er sie von 38 auf 37 Stunden. Nun, zum abermals anstehenden Jahreswechsel, geht es hinab auf 36. Der dritte Schritt folgt dann in genau einem Jahr. Der Arbeitgeberverband Gesamtmetall und die IG Metall hingegen waren vor drei Wochen an einer Branchenlösung gescheitert, die den Firmen sogar bis 2031 Zeit für die Umstellung gegeben hätte. Die Arbeitszeit wird bei Ejot mit vollem Lohnausgleich reduziert, für 35 Stunden wird es genauso viel Geld geben wie früher für 38; das sieht der Haustarifvertrag vor, auf den sich Kocherscheidt mit der IG-Metall-Geschäftsstelle in Eisenach geeinigt hat. "Wir sind, bei allen Schwierigkeiten, auf einen verständigen Unternehmer getroffen", sagt Uwe Laubach, der Leiter der Gewerkschaft dort. "Ejot Tambach ist Vorbild für andere Arbeitgeber in Thüringen", sagt Wolfgang Tiefensee (SPD), der Wirtschaftsminister des Landes, wenn man ihn um eine Einschätzung bittet.

Arbeitszeit: Christian Kocherscheidt, Inhaber von Ejot.

Christian Kocherscheidt, Inhaber von Ejot.

(Foto: Ejot)

War soziale Marktwirtschaft nicht immer genau so gedacht: dass Fairness zum Vorteil aller führt? Und gehört sich das 30 Jahre nach der Wende nicht auch so: dass die Menschen im Osten zu den gleichen Bedingungen arbeiten wie diejenigen im Westen? Der Gewerkschafter Laubach sagt, bei Ejot habe der Chef erkannt, "dass Arbeitgeber und Tarifparteien auch eine Aufgabe für die Demokratie zu erfüllen haben". Es sei ein "Desaster", dass eine solche Überlegung neulich bei den Gesprächen zur gesamten ostdeutschen Metallindustrie keine Rolle gespielt habe.

Was sich indes nicht von Ejot auf die gesamte Branche übertragen lässt, jedenfalls auf die Schnelle nicht: dass ein Betrieb als Unternehmen organisiert ist, und nicht bloß als Werkbank, also die Betriebsform, in der oft das Kostenthema so dominiert. Christian Kocherscheidt sagt: "Tambach-Dietharz muss sich nun halt anstrengen, damit die Kunden nicht zum billigeren Konkurrenten laufen."

Was man aber vom Fall Ejot lernen kann: dass eine Lösung dann eine Chance hat, wenn eine Firma sie als passgenau empfindet. Hier hat die IG Metall nicht nur ihre geliebte 35-Stunden-Woche bekommen, sondern auch einem Vier-Schicht-System für fast jeden vierten Mitarbeiter zugestimmt; außerdem einer Härtefallklausel, falls die Arbeitszeitverkürzung der Firma doch zu teuer wird. Ejot muss sich also nicht überfordert fühlen vom Haustarifvertrag - wohingegen viele Arbeitgeber genau dies seit Jahren beklagen: dass die IG Metall ihnen in den branchenweit geltenden Tarifverträgen zu viel abverlange. "Viel zu viele Betriebe treten aus den Verbänden aus, weil sie die Konditionen nicht mehr erfüllen können", das sieht auch Kocherscheidt so.

Etwas anderes kommt hinzu. Etliche kleine und mittlere Vorfälle haben dazu geführt, dass überregional die Arbeitsbeziehung zwischen Arbeitgeber und Gewerkschaft mittlerweile belastet ist, atmosphärisch. Im Fall Ejot hingegen spricht die Firma von "vertrauensvollen Verhandlungen" mit der IG Metall, und dort bestreitet man das nicht. Gibt es kein Vertrauen, kommt es zu dem, was der Gewerkschafter Laubach "Desaster" genannt hat, und was auch der Firmenchef Kocherscheidt nicht gut findet. "Im Prinzip ist es doch gut, wenn alle zu ähnlichen Konditionen arbeiten", sagt er. "Dann wird niemand mit Lohndumping unterboten."

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