Anti-Atombewegung:127 Kilometer Menschen

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Frischzellenkur für Anti-AKW-Bewegung: "Kettenreaktion" heißt die längste Demo Deutschlands zwischen den norddeutschen Atomkraftwerken Brunsbüttel und Krümmel.

Michael Bauchmüller

Wenn die Sache in die Hose geht, wenn nicht genügend Leute aufs platte Land kommen, dann gibt es immer noch die Banner aus Plastik. 35.000 davon sind bedruckt mit den Symbolen der Anti-Atombewegung. Jedes einzelne ist zwei Meter lang, macht zusammen 70 Kilometer Folien-Botschaften gegen die Kernkraft.

Protest gegen die Meiler: Deutscher Atomkraftgegner zeigt Flagge (Foto: Foto: ddp)

Sollte die Menschenkette zu viele Lücken haben, so das Kalkül, wirkt sie zumindest optisch geschlossen. Dabei deutet gerade nichts darauf hin, dass die größte Menschenkette in der Geschichte der Bundesrepublik scheitern wird - diesen Samstag, zwischen den Atomkraftwerken Brunsbüttel und Krümmel.

127 Kilometer ist die Strecke lang, sie führt einmal quer durch Hamburg, ansonsten aber durchs schwach bevölkerte Hinterland Schleswig-Holsteins. "Die eigentliche Herausforderung ist, dass es überall gut verteilt ist", sagt Jochen Stay, einer der Initiatoren der "Kettenreaktion", wie das Anti-AKW-Happening heißt.

Die ganze Aktion sei "schon etwas speziell", sagt Stay. Wohl wahr. Das letzte Mal, dass sich in der Bundesrepublik so viele Menschen aneinanderreihten, war 1983 zwischen Stuttgart und Neu-Ulm. 108 Kilometer war die Kette damals lang, sie wandte sich gegen die Aufstellung amerikanischer Atomraketen im Land. Danach wurden die Menschenketten kürzer. Kein Wunder: Logistisch ist die Sache nicht ganz trivial.

Geht alles nach Plan, wird um 14.30 Uhr in Brunsbüttel der erste Teilnehmer in die Pfeife blasen, Demonstrant um Demonstrant soll sich die Schallwelle fortsetzen - um drei Uhr soll sie in Krümmel sein. "Trillerpfeifen und andere Krachmacher mitbringen!", fordern die Organisatoren. Dazu allerdings müssten sich gut 75 000 Menschen entlang der Strecke einfinden, ohne die Plastiktransparente gerechnet. "Mit 25.000 Leuten schaffen wir alle fünf Meter einen", sagt Christoph Bautz von der Kampagnenorganisation Campact. Auch das ist schon ambitioniert - doch offenbar zu machen.

Frischzellenkur für Anti-AKW-Bewegung

Denn die Pläne der schwarz-gelben Koalition, die Laufzeiten der Kernkraftwerke zu verlängern, scheinen eine Art Frischzellenkur zu sein für die Anti-AKW-Bewegung. "Das ist das breiteste Bündnis, das es seit Jahren gegen Atomkraft gegeben hat", schwärmt Bautz. Firmen aus der Ökostrom-Branche gehen geschlossen zur Demo, Gewerkschaften organisieren Busse, SPD, Grüne und Linkspartei auch. Bis Freitag hatten sich gut 250 Reisebusse und drei Sonderzüge voll Demonstranten angesagt. Über ein ausgeklügeltes System werden die Busse dahin gelotst, wo die Kette am dünnsten ist.

Alle 13.000 Sitzplätze in Bussen und Zügen seien verkauft, sagt Organisator Stay. Schon warnen die Veranstalter, keine Regionalzüge zu benutzen: "Am 24. April werden die meisten Menschen auf dem heimatlichen Bahnsteig zurückbleiben" - die Bahnen seien überfüllt. Tausende Menschen werden auch im hessischen Biblis erwartet, wo Atomgegner das dortige Kraftwerk umzingeln, sowie am westfälischen Atommüll-Zwischenlager Ahaus. Offiziell geht es stets um den Nuklearunfall in Tschernobyl, der sich Montag zum 24. Mal jährt. De facto aber stehen die Atom-Laufzeiten im Zentrum - und die Wahl in Nordrhein-Westfalen, die in zwei Wochen stattfindet.

Deshalb dürfen auch die Führungsfiguren Sigmar Gabriel (SPD), Jürgen Trittin (Grüne) und Klaus Ernst (Linkspartei) beim Massenevent im Norden sprechen, wenn auch nur auf Nebenbühnen. Gut möglich, dass sie selbst da genug Zuhörer finden. Das Wetter soll schließlich gut werden.

© SZ vom 24.4.2010 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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