Anschlag in Ägypten:Uniformierte mit schwarzen Flaggen

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  • Nach dem Anschlag auf eine Moschee im Norden der Sinai-Halbinsel bombardieren Kampfjets und -hubschrauber mutmaßliche "terroristische Ziele".
  • Dem ägyptischen Generalstaatsanwalt zufolge haben die Angreifer Armee-Uniformen getragen und IS-Flaggen bei sich gehabt.
  • Die Armee geht seit Jahren mit aller Härte gegen Terroristen vor: Menschenrechtsverletzungen ihrerseits sorgen für Wut, die dem IS in die Hände spielt.

Von Paul-Anton Krüger, Kairo

Kaum hatte Ägyptens Präsident Abdelfattah al-Sisi in einer TV-Ansprache angekündigt, Armee und Polizei würden "mit aller Härte" auf den schwersten Anschlag in der Geschichte des Landes reagieren, stiegen F-16-Kampfjets und Apache-Kampfhubschrauber auf. Am Wochenende bombardierten sie "terroristische Ziele" im Norden der Sinai-Halbinsel. Terroristen hatten dort Gläubige in der Al-Rawdah-Moschee von Bir al-Abed während des Freitagsgebets niedergemetzelt; die Zahl der Opfer stieg am Samstag auf 305. Ägyptens Generalstaatsanwalt sprach davon, die 20 bis 30 Angreifer hätten Armeeuniformen getragen und die schwarze Flagge der Terrormiliz Islamischer Staat (IS) mit sich geführt - bekannt hat sich bisher niemand.

Die Regierung erklärte, das "barbarische Verbrechen" an unschuldigen Betenden zeige "die Schwäche, die Verzweiflung und den Zusammenbruch", der Terrorgruppe angesichts der "aktiven Konfrontation" durch die Sicherheitskräfte. Die Armee kämpft im Nordsinai seit Sommer 2013 gegen den IS und dessen Vorläufer. Dieser weiche deshalb auf die "einfachsten Ziele" aus und schrecke nicht davor zurück, eine Moschee zu attackieren.

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Eine Woche vor dem Anschlag hatten Extremisten den Scheich der Moschee ultimativ gewarnt

Allerdings hatte der IS den Angriff vor Monaten angekündigt. Im Januar drohte er in einer Propaganda-Publikation, die Sufis im Sinai "auszulöschen"; die sunnitischen Extremisten betrachten die in Ägypten verbreitete Form der Ausübung des Islam als Götzenanbetung. Auch religiöse Rituale der Sufi, die es sowohl im sunnitischen als auch im schiitischen Islam gibt, lehnen sie ab. Bir el-Abed wurde als ausdrücklich einer von drei Orten benannt.

Bereits im November 2016 hatten die Terroristen zwei Sufi-Scheichs enthauptet. In den Monaten vor dem Anschlag griff der IS mehrfach Sufis an und tötete mehrere von ihnen. Eine Woche vor dem Anschlag hatten die Extremisten den Scheich der Moschee laut Zeugen ultimativ aufgefordert, bestimmte Glaubenspraktiken einzustellen. Zusätzlichen Schutz für die Gemeinde zog das offenbar nicht nach sich, obwohl die Beduinen in dem Ort mit den Sicherheitskräften kooperieren, was sie zusätzlich zum Ziel der Terroristen gemacht haben könnte, und in der Moschee freitags Angehörige der Sicherheitskräfte beten.

Mit einer ähnlichen Abfolge von Drohungen und Angriffen bis hin zu Morden am helllichten Tag hatte der IS zu Beginn des Jahres die koptischen Christen aus dem Nordsinai vertrieben, die fast ausschließlich in der Provinzhauptstadt al-Arisch lebten. 450 Menschen flüchteten damals; sie sind bis heute nicht zurückgekehrt.

Dschihadisten attackieren mittlerweile vor allem die ägyptische Staatsmacht

Im Nordsinai gibt es seit den 80ern Aufstandsbewegungen, die sich aus einigen der Beduinen-Stämme rekrutieren. Manche wiesen schon immer radikale islamistische Tendenzen auf. Kairo vernachlässigte den Nordsinai, nachdem Israel die Halbinsel 1982 an Ägypten zurückgegeben hatte, während es im Süden den Tourismus entwickelte. Im Norden hatten sich manche Stämme mit den Besatzern arrangiert; man behandelte sie wie Kollaborateure. Nach dem Sturz des Diktators Hosni Mubarak Anfang 2011 zog sich wie im ganzen Land der Staat zurück; ungehindert sickerten Dschihadisten ein, sie kamen aus ägyptischen Gefängnissen, aus dem Gazastreifen, unter ihnen waren aber auch Ägypter, die im Irak für al-Qaida gekämpft hatten.

Nach der Machtübernahme des Militärs im Sommer 2013 und dem Sturz des Islamisten-Präsidenten Mohammed Mursi attackierten die Dschihadisten nicht mehr primär Israel und die Gas-Pipeline dorthin, sondern die ägyptische Staatsmacht. Ansar Beit al-Maqdis war die radikalste und schlagkräftigste Gruppe, damals auf 1000 bis 2000 Mitglieder geschätzt. Ende 2014 schloss sie sich der Terrormiliz Islamischer Staat an; zwei Gesandte reisten nach Raqqa in Syrien, um dem Kalifen Treue zu schwören. Der ließ ihnen Geld, Waffen und Ausbildungshilfe zukommen über eine eigens eingerichtete Logistikzelle in Libyen.

Die Armee reagierte schon damals mit Härte, nahm wenig Rücksicht auf die Zivilbevölkerung: Seit Sommer 2013 hat sie gemäß eigenen Angaben 3000 Terrorverdächtige getötet. Zum Gazastreifen richtete sie eine Pufferzone ein, in der sie Häuser sprengte und Bewohner vertrieb. Sie stoppte so den Schmuggel durch Tunnel dorthin, eine wichtige Einnahmequelle. Auch soll sie für außergesetzlichen Hinrichtungen und andere Menschenrechtsverletzungen verantwortlich sein - die Wut der Menschen darüber spielt dem IS in die Hand.

Im Sommer 2016 tötete die Luftwaffe den Anführer des IS-Ablegers, den westliche Geheimdienste für den gefährlichsten außerhalb der einstigen IS-Gebiete halten. Er soll durch einen Ägypter ersetzt worden sein, der in Syrien kämpfte. Anfang 2017 zerstörte das Militär zudem IS-Verstecke in den Bergen. Doch die Terroristen, die im Nordsinai nie Territorium kontrollierten, schlugen immer wieder zurück. Mit Bomben auf Kirchen außerhalb des Sinai, aber sie attackierten auch immer wieder die Armee: Eine Eliteeinheit verlor im Juli 40 Soldaten in einem Hinterhalt.

© SZ vom 27.11.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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