Angela Merkel und Stuttgart 21:Volles Risiko - ohne Begründung

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Endlich mal ein echter Kampf: Die Kanzlerin kettet sich an das Bahnprojekt Stuttgart 21. Mit ihrer Entschiedenheit dürfte sie Freunde wie Feinde überrascht haben. Doch Merkels Mut könnte sie teuer zu stehen kommen - sie verliert das Gefühl für die großen Themen.

Stefan Braun

So viel Risiko - das ist neu bei Angela Merkel. Dass sich die Bundeskanzlerin in der Haushaltsdebatte derart entschieden hinter das Bahnprojekt Stuttgart 21 gestellt hat, dürfte Freunde wie Feinde überrascht haben. Stramme Christdemokraten werden sich freuen, weil die Kanzlerin endlich mal zu einem echten Kampf bläst. Politische Gegner werden sich die Hände reiben, weil Merkel keine inhaltliche und damit keine überzeugende Antwort dafür liefert, warum sie sich für Stuttgart 21 so starkmacht.

Kanzlerin Angela Merkel zeigt in der Debatte um Stuttgart 21 Mut zum Risiko - und stellt sich hinter das umstrittene Projekt. (Foto: dpa)

Die Kanzlerin zeigt Mut wie selten. Aber sie scheint nicht zu begreifen, wie belastend für sie das Projekt Stuttgart 21 werden könnte. Bislang hatte sie ein gutes Gefühl, die ganz großen Dinge vom normalen Geschäft zu unterscheiden. Man kann sogar sagen, dass sie mit zwei Regierungen regiert hat. Die eine Regierung kümmert sich um die Frage: Was machen wir in großen Krisen? Die zweite kümmert sich um das normale Leben, jenseits von Bankenpleite und Weltwirtschaftskrise.

Die eine Regierung beherrscht die Kanzlerin ganz gut, bei der anderen gibt sie kein gutes Bild ab. Entsprechend hat die Kanzlerin am Mittwoch im Bundestag viel über die Ausnahmezustände geredet und fast nichts gesagt zum sonstigen Regieren. Die Taktik kann man verstehen. Gegenüber dem Parlament aber ist es ein Affront gewesen.

Sicher, mit gutem Recht kann Merkel darauf verweisen, dass auf den Tag genau zwei Jahre nach dem Zusammenbruch der US-Investmentbank Lehman Brothers die Welt, Europa und vor allem Deutschland wieder ziemlich gut dastehen. Sie kann auch völlig zu Recht erklären, dass die niedrige Zahl an Arbeitslosen und die guten Wirtschaftsdaten mit ihrer Politik zu tun hat.

Völlig zu Unrecht aber vergisst sie zu erwähnen, dass die meisten der dazu nötigen Beschlüsse - siehe Kurzarbeitergeld und Bankenrettungsschirm - kein Verdienst der schwarz-gelben Regierung, sondern der großen Koalition waren. Und richtig ärgerlich ist, dass die Kanzlerin fast komplett darauf verzichtet hat, über das zu sprechen, was ihre Regierung derzeit umsetzt. Kaum ein Wort zum Sparprogramm; kaum ein Wort zum Energiekonzept mit den längeren AKW-Laufzeiten.

Diesen Themen hätte sie sich in der Haushaltsdebatte stellen müssen. Es wäre ihre Aufgabe gewesen, zu erklären, warum sie das Sparpaket für sozial ausgewogen hält, obwohl harte Kürzungen nur die Hartz-IV-Empfänger persönlich spüren werden. Es wäre ihre Pflicht gewesen zu begründen, warum ihre Regierung im Zuge der Laufzeitverlängerungen nicht nur ein Gesetz ändert, sondern den Betreibern in einem Vertrag bindende Zusagen macht, die weit über die derzeitige Legislaturperiode hinaus reichen.

Je intransparenter Politik organisiert wird, desto größer ist die Pflicht zur Begründung. Genau das hat Merkel auf fast provozierende Art vernachlässigt. Sollte sie daran bei Stuttgart 21 nichts ändern, kann sie bei den dortigen Landtagswahlen Ende März alles verlieren.

© SZ vom 16.09.2010 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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