Angela Merkel in der Euro-Krise:Ihr müsst hart sein - obwohl ich es nie war

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Die Reformen der anderen: Angela Merkel erwartet in der Euro-Krise harte Einschnitte von den europäischen Partnerländern. Die Kanzlerin selbst ist jedoch in ihrer Karriere vor weitgehenden Änderungen zurückgeschreckt - weil Wähler und Wirklichkeit sie hinderten. Die Opposition ist allerdings auch nicht überzeugender.

Nico Fried

Mal angenommen, Europa wäre in ein paar Jahren so, wie sich Angela Merkel das vorstellt. Dann hätte jedes Land eine Schuldenbremse in der Verfassung stehen. Dann würde das Geld der Europäischen Union sinnvoller investiert als jetzt, und die EU-Kommission könnte in die nationalen Haushaltspläne hineinregieren. Dann hätten die Mitgliedstaaten ihre Wirtschaft reformiert, entbürokratisiert, aufgepäppelt, kurz: im Sinne Merkels ihre Wettbewerbsfähigkeit verbessert. Dieses Europa wäre ein ganz anderes, es wäre ein neues Europa.

Angela Merkel im Scheinwerferlicht: Von ihrem Leipziger Programm hat sie einst mehr gestrichen als umgesetzt. Geschadet hat es ihr nicht. (Foto: dapd)

Angela Merkel wollte schon einmal etwas ganz anderes. Das war auf dem Leipziger Parteitag der CDU im Jahr 2003, als sie den Sozialstaat umbauen, das Steuersystem ausholzen und am liebsten auch noch die Mentalität der Deutschen verändern wollte. Von diesem Programm hat Merkel über die Jahre mehr gestrichen als umgesetzt, weil sie die Wähler und die Wirklichkeit daran gehindert haben. Das hat ihr übrigens nicht geschadet. Dem Land auch nicht.

Mit ihren ambitionierten Wünschen an die EU-Partner entwirft Merkel nun eine Art Leipzig für Europa. Das Gewand der entschlossenen Reformerin, das sie zu Hause längst abgelegt hat, streift sie nun noch einmal in Europa über. Darin liegt aber ein Problem für die Kanzlerin. Denn die Härte, die sie von ihren Kollegen einfordert, ist die Härte, die sie nicht gezeigt hat. Das bedeutet nicht, dass Merkels Vorstellungen falsch wären, aber es bedeutet, dass auch auf die politischen Realitäten in den Partnerstaaten Rücksicht zu nehmen ist - so wie es Merkel für sich in Anspruch nimmt, wenn sie erklären muss, warum sie als Reformerin nie da gelandet ist, wo sie einst hin wollte.

Angela Merkel gehörte bis 1998 als Ministerin einer Regierung an, die einen beachtlichen Reformstau hinterließ. Dass sie nun als Kanzlerin jüngst in Paris die langfristigen Wachstumsraten und die gegenwärtige Beschäftigungssituation in Deutschland als erfreulich preisen konnte, ist zumindest in großen Teilen ein Erfolg, den sie einer rot-grünen Koalition zu verdanken hat. Das ist die Kehrseite des durchaus berechtigten Vorwurfs, dass Rot-Grün mit der Aufweichung des Stabilitätspaktes auch Mitverantwortung für die Schuldenkrise trägt.

Die Regierung Schröder hat für ihre Reformen den höchstmöglichen politischen Preis bezahlt: ihr eigenes vorzeitiges Ende. Frank-Walter Steinmeier war damals dabei, Peer Steinbrück hat die Agenda 2010 unterstützt. Deshalb aber ist es auch schwer zu verstehen, warum dieselben Leute heute so vehement für eine europäische Solidarität mit schwer abzuschätzenden Kosten plädieren: Sie fordern lauthals die Vergemeinschaftung von Schulden über Euro-Anleihen, verzichten aber darauf, Zumutungen abzufordern, die sie über die Jahre in Deutschland an vielen Stellen zu Recht durchgekämpft haben. Was die Kanzlerin zu viel erwartet, erwartet die Opposition zu wenig. Überzeugender ist das nicht.

© SZ vom 20.08.2011 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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