Angela Merkel in China:Harmonie ist eine Strategie

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Die Gespräche von Kanzlerin Merkel in China verlaufen so vertrauensvoll wie noch nie. Doch diese Harmonie ist nur eine Seite der deutsch-chinesischen Partnerschaft. Denn Merkel darf nicht reden, mit wem sie will: Die chinesische Polizei verhindert ihr Treffen mit einem regimekritischen Menschenrechtsanwalt.

Robert Roßmann, Kanton

Mo Shaoping ist ein mutiger Mann. Der Rechtsanwalt hat den Friedensnobelpreisträger Liu Xiaobo vertreten. Er ist die letzte Hoffnung vieler chinesischer Regimekritiker - und auch sonst ein Freund klarer Worte. Doch Angela Merkel darf ihn an diesem Abend nicht sprechen. Die Kanzlerin ist in China, der deutsche Botschafter hat zum Empfang für Merkel geladen. Aber ein Gast erscheint nicht, ohne Absage oder Nachricht. Erst am nächsten Tag wird klar, was passiert ist. Chinas Führung hat mal wieder zugeschlagen.

Am Freitag erreichen Journalisten Mo am Telefon. Kurz vor dem Empfang Merkels sei auf einmal die Sicherheitspolizei in seinem Büro gestanden, sagt der Anwalt. Stundenlang hätten ihn die Beamten festgesetzt. Um die "soziale Stabilität des Landes" nicht zu gefährden, dürfe er die Kanzlerin nicht sprechen, habe man ihm erklärt. Merkel darf also nicht reden, mit wem sie will. Ein Affront.

Es ist ein Besuch der zwei Gesichter. Auf der einen Seite verlaufen die Gespräche zwischen den Delegationen so vertrauensvoll wie wohl noch nie. Ministerpräsident Wen Jiabao und Merkel haben sich über die Jahre schätzen gelernt. Der Premier begleitet die Kanzlerin am Freitag sogar auf ihren Abstecher ins drei Flugstunden entfernte Kanton.

In Deutschland wird dafür gerade das Jahr der chinesischen Kultur eröffnet, bei der Hannover-Messe ist China das Partnerland. Außerdem feiern Berlin und Peking den 40. Jahrestag der Aufnahme diplomatischer Beziehungen. Im Jahr 1972 war das Handelsvolumen im ganzen Jahr so groß wie heute an einem Tag. Deutschland und China, die mächtigsten Länder ihrer Kontinente, sind Partner geworden. Das ist das eine Gesicht der Reise der Kanzlerin.

Die zwei Gesichter der deutsch-chinesischen Beziehungen

Das andere wird an diesem Freitag sichtbar: China ist auch im Jahr 2012 noch lange kein Rechtsstaat. Die deutsche Wirtschaft beklagt bei einem Gespräch mit Premier Wen den schwierigen Marktzugang, die vielen bürokratischen Hürden und das illegale Kopieren deutscher Technik. Und die Bürgerrechtler melden sich mit ihrem Protest gegen die Verfolgung von Menschen wie Mo zu Wort.

Der Kanzlerin ist dabei kaum ein Vorwurf zu machen. Bei ihren Gesprächen mit Wen und Präsident Hu Jintao hat sie die beiden Probleme ungewöhnlich deutlich angesprochen. Beim Thema Menschenrechte sind die Chinesen besonders ehrpusselig. Doch die Kanzlerin erspart dem Premier noch nicht einmal beim gemeinsamen Auftritt in der Großen Halle des Volkes eine Mahnung zur Meinungsfreiheit. Deutschland sei der Auffassung, dass "hier oft sehr hart reagiert wird", sagt Merkel. Die Kanzlerin stößt sich vor allem am Umgang Chinas mit Äußerungen im Internet. Sie werde deshalb "immer wieder deutlich machen, dass die Pluralität von Meinungen sehr zielführend und hilfreich für die Entwicklung eines Landes sein kann". Der Premier sitzt regungslos neben der Kanzlerin. Seine Schergen sind gerade auf dem Weg zu Anwalt Mo.

China gibt für die Überwachung seiner Bürger fast so viel Geld aus wie für das Militär. Im Einzelfall verhält sich der Sicherheitsapparat jedoch erratisch. Merkel hatte zum Botschafter-Empfang nicht nur Mo geladen, sondern auch einen kritischen Künstler und einen Chefredakteur. Die beiden durften kommen.

Auch den katholischen Erzbischof von Kanton kann die Bundeskanzlerin an diesem Samstag in seiner Herz-Jesu-Kathedrale sprechen. Den ursprünglich geplanten Besuch der kritischen Zeitung Nanfang Zhoumo am selben Tag haben die Behörden dagegen offenbar unterbunden. Das Regime wolle nicht, dass die Zeitung durch den hohen Besuch aus Deutschland in der Wahrnehmung aufgewertet werde, hieß es in Kanton. Die Bundeskanzlerin antwortete auf ihre Weise: Sie gab der Zeitung ein Interview, das während des China-Besuchs erschien.

Mehr Meinungsfreiheit - dank Internet und Smartphones

Außerdem überreichte die deutsche Delegation der Regierung in Peking eine Liste mit einem Dutzend Namen verfolgter Chinesen - mit der deutlichen Bitte, die Fälle wohlwollend zu prüfen. Ein Rechtsstaat und soziale Sicherheit seien die Voraussetzungen für nachhaltiges Wachstum und Frieden im Land, sagt Merkel immer wieder - und erinnert dabei vor allem an das Schicksal der 230 Millionen Wanderarbeiter in China.

In Berlin freut man sich über manche Fortschritte. Vor allem den sogenannten Rechtsstaatsdialog mit China lobt die Kanzlerin regelmäßig. Die dafür zuständige Bundesjustizministerin war erst im Herbst wieder zu Gesprächen in Peking. Nach Ansicht von Experten hat sich die Meinungsfreiheit in China in den vergangenen Jahren tatsächlich verbessert.

Allerdings sei dies keine Entscheidung der Partei, sondern liege an technischen Entwicklungen wie dem Internet und der Verbreitung von Smartphones. Dabei gebe es ein Wettrennen zwischen den Transparenzforderungen der Zivilgesellschaft und dem Staat, bei dem der Staat immer häufiger einen halben Schritt hinterher sei, finden die Fachleute. Rechtsanwalt Mo hat das nicht geholfen, an diesem Freitag in China.

© SZ vom 04.02.2012 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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