Angela Merkel:Das Ende der Physik

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Auch Politik braucht Emotionen - doch die Naturwissenschaftlerin Angela Merkel zerstört mit ihren Kalkulationen das Zusammengehörigkeitsgefühl in der CDU. Die Zukunft der Partei und der Koalition stehen auf dem Spiel.

Stefan Braun

Manchmal weiß man nicht mehr, ob Angela Merkel es nicht merkt oder nicht merken möchte, wenn sie ihre Partei vor den Kopf stößt. Als sie nach dem Triumph der deutschen Fußballer in Südafrika von deren Mannschaftsgeist und Leidenschaft schwärmte, schien sie ehrlich beseelt von dem, was sie gesehen hatte. Nur eines spürte sie offensichtlich nicht: Wie sehr sie mit solchen Sätzen viele in der eigenen Partei provoziert.

(Foto: getty)

Die nämlich wünschen sich schon lange, dass ihre CDU mit mehr Leidenschaft, Verve und Gemeinschaftsgefühl für etwas eintritt. Dabei - das ist der Irrtum - sind Funktionäre und Basis keineswegs fixiert auf bestimmte Themen, gar auf eine wieder konservativere Ausrichtung etwa in der Familienpolitik. Das Ziel könnte der ökologische Umbau der Marktwirtschaft sein. Entscheidend ist, dass es überhaupt ein Ziel gibt, eines, das gut begründet wird und mit dem sich auch die Vorsitzende unmissverständlich verbindet.

Das Gefühl, dass genau dieses Identitätsstiftende fehlt, ist in der CDU nicht neu. Es ist seit Merkels Wahl zur Parteichefin im Jahr 2000 immer wieder artikuliert worden. Doch seit Merkel mit ihren Leipziger Reformzielen scheiterte, lässt sie die Finger von Versuchen, ihrer Partei Orientierung zu geben. Stattdessen hat sie ihre Herkunft als Physikerin kultiviert, die nüchtern bis kalt kalkuliert, was sie wann unter welchen Umständen erreichen möchte. In internen Machtkämpfen hat ihr das meistens geholfen. Beim Versuch, damit auch eine Partei dauerhaft und stabil hinter sich zu vereinen, scheitert Merkel jedoch kläglich. Schlimmer noch: Ihre nüchtern-kalten Kalkulationen zerstören Schritt für Schritt jenes Gefühl, das Helmut Kohl einst mit Familie umschrieben hat: das Gefühl, dass man zusammen gehört, in guten wie in schlechten Zeiten.

Nüchternheit statt Emotion

Als Grundton schwingt diese Kritik länger mit. So beim Wahlkampf im vergangenen September, nach dem es zwar für eine schwarz-gelbe Mehrheit reichte, die CDU aber auf ein historisches Tief fiel. Trotzdem lobten sich die Christdemokraten für ihre asymmetrischen Demobilisierung. Sie feierten also einen Triumph, der darauf beruhte, dass bei SPD und Grünen noch mehr Leute weg blieben als bei den Christdemokraten. Wer so kalkuliert, hat nicht verstanden, warum einfache Mitglieder heute noch Plakate kleben oder im Internet Massenmails schreiben, sich also überhaupt engagieren: Sie müssen wissen, wofür. Und sie wollen das auch erklären können.

Dies muss man sich klar machen, will man verstehen, warum die in der vergangenen Woche zweimal gescheiterte und erst im dritten Anlauf gelungene Wahl Christian Wulffs zum Bundespräsidenten ein Menetekel ist für Merkel. Es war der Höhepunkt im Missverhältnis zwischen der CDU-Vorsitzenden und ihren Christdemokraten. Hier Merkel, die sich vor den Wahlgängen ganz nüchtern gab, um niemanden zu provozieren; dort ihre Wahlleute, die sich das glatte Gegenteil, eine emotionale Ansprache, gewünscht hätten. Merkels Leute erklärten hinterher, sie habe sich die gefühlvolle Rede in Reserve halten wollen. Die Reaktion der überwiegenden Mehrheit ihrer Leute: Unverständnis und Kopfschütteln.

Man kann es im Sinne Merkels ganz nüchtern sagen: Will sie politisch überleben, muss sie ihre physikalische Herangehensweise beenden. Politik ist viel mehr als eine Versuchsanordnung. Parteien brauchen Emotionen genauso wie Koalitionen. Und das heißt: Merkel muss diese schwarz-gelbe Koalition wirklich als ihre Koalition annehmen, will sie ein Scheitern vermeiden. Bislang hat sie auch hier mit dem Rechencomputer regiert und deshalb den Ruf, dass sie sich Mehrheiten sucht, wo sie sie gerade findet. Damit hat sie in der Koalition viel Vertrauen verspielt. Und dabei ist es unerheblich, dass auch andere mit diesem Vertrauen immer wieder spielen. Merkel ist die Kanzlerin. Deshalb liegt es an ihr, der CDU und der Koalition eine Zukunft zu geben.

© SZ vom 06.07.2010 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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