Analyse:Auf jeden Fall mehr Ärger

Lesezeit: 3 min

Künftig brauchen sie Zollpapiere: Die ersten Trucks aus Großbritannien kommen in Calais an, nachdem die französischen Behörden die Grenzschließung wieder aufgehoben haben. (Foto: Frnacois Lo Presti/AFP)

Nicht allein beim Warenaustausch dürfte es zwischen Großbritannien und der EU in Zukunft schwieriger werden.

Von Björn Finke und Alexander Mühlauer

Der Handelsvertrag, auf den sich London und Brüssel geeinigt haben, verhindert die Einführung von Zöllen. Trotzdem wird sich Neujahr vieles ändern für Bürger und Unternehmen: vor allem in Großbritannien und meist zum Schlechten. Denn zum Jahreswechsel endet die Brexit-Übergangsphase, während der das Königreich weiter Mitglied des EU-Binnenmarkts und der Zollunion war. Ein Überblick:

Was ändert sich für EU-Bürger?

EU-Bürger, die bereits im Vereinigten Königreich leben, können noch bis zum 30. Juni einen besonderen Aufenthaltsstatus beantragen. Sie erhalten damit das Recht, weiter in Großbritannien zu wohnen und zu arbeiten. Doch Einwanderung wird zum Jahreswechsel erschwert; mit der in der Europäischen Union geltenden Freizügigkeit ist es dann vorbei. EU-Bürger müssen daher vom neuen Jahr an bestimmte Kriterien erfüllen, um einwandern zu können. So gibt es eine Einkommensschwelle, die vor allem die Zuwanderung von Geringqualifizierten verhindern soll. Wer die Insel aber nur besuchen will, kann dies weiter ohne Visum tun. Bitter für Studenten: London entschied, nicht mehr am Austauschprogramm Erasmus teilnehmen zu wollen, mit dem Studenten gebührenfrei Auslandssemester einlegen können.

Was ändert sich für die Briten?

Auch Briten verlieren zum Jahreswechsel das Recht, in allen Staaten der EU zu leben und zu arbeiten. Ein weiteres Problem: Berufsqualifikationen, etwa für Architekten, werden nicht mehr automatisch anerkannt. Kommen Briten an einem EU-Flughafen an, werden sie sich bei der Passkontrolle in der - meist längeren - Schlange für Nicht-EU-Bürger anstellen müssen. Kaufen sie in der EU Urlaubssouvenirs und übersteigt deren Wert 150 Euro, müssen sie damit bei der Rückkehr ins Königreich zum Zollschalter gehen.

Was ist mit dem Güterhandel?

Das Freihandelsabkommen verhindert, dass beide Seiten gemäß den Regeln der Welthandelsorganisation WTO Zölle einführen müssen. Trotzdem werden Exporteure Zollpapiere ausfüllen müssen - und es wird stichprobenartige Kontrollen an den Häfen und Flughäfen geben. Dies liegt daran, dass Großbritannien keine Zollunion mit der EU eingehen, sondern lieber eine eigenständige Handelspolitik betreiben will. London kann nun selbst Handelsverträge abschließen, die Zölle abschaffen, etwa mit den USA. Dann könnten Waren zollfrei von Amerika ins Königreich verkauft werden. Zwischen den USA und der EU existiert aber kein vergleichbarer Deal. Deswegen muss die EU sicherstellen, dass nicht über den Umweg Großbritannien Waren aus den USA unverzollt in die Europäische Union gelangen.

Britische Lastwagenfahrer auf dem Weg in die EU müssen daher Zollpapiere abgeben, die aufführen, was sie geladen haben: nur britische Produkte, die zollfrei sind - oder vielleicht auch US-Produkte, für welche die EU Zölle verlangt? Zudem müssen die Unternehmer Ihrer Majestät belegen, dass ihre Produkte wirklich britisch genug sind, um von der Zollfreiheit zu profitieren. Nur Waren, bei denen ausreichend Wertschöpfung und Produktionsschritte im Königreich anfielen, wird die EU als zollfreien Import aus Großbritannien akzeptieren.

Wäre solche Mühe vermeidbar?

Um solche Bürokratie vermeiden zu können, hätte Großbritannien Teil des EU-Zollgebiets bleiben müssen - in einer Zollunion. Das ist aber nicht der Fall. Und Mitglied im Binnenmarkt bleibt das Königreich genauso wenig. Auch dies wird manche Kontrolle von Lastwagen nötig machen. Denn außerhalb des Binnenmarkts muss sich Großbritannien nicht mehr an EU-Standards und -Regeln halten. Diese große Freiheit bedeutet freilich, dass die EU nicht mehr automatisch davon ausgehen kann, dass britische Produkte europäischen Regeln zum Verbraucherschutz und zur Lebensmittelsicherheit entsprechen.

Hilft der Vertrag den Banken?

Nicht wirklich. Bislang können Banken, Versicherer und Fondsgesellschaften in London, Europas wichtigstem Finanzplatz, problemlos Kunden in der ganzen EU bedienen oder dort Filialen eröffnen. Dank des Binnenmarktes wird die britische Genehmigung überall anerkannt, eine zusätzliche Lizenz an anderen Orten in der EU ist nicht nötig. Fachleute sprechen davon, dass die Konzerne einen EU-Pass für ihre Produkte haben. Doch diese praktischen EU-Pässe fallen zum Jahreswechsel weg. Sie sollen später im Jahr zum Teil durch das sogenannte Äquivalenzprinzip ersetzt werden: Erkennt die EU an, dass die Regulierung in einem Staat äquivalent, also gleichwertig, zu Brüsseler Vorgaben ist, kann sie den dortigen Finanzfirmen ungehinderten Zugang zum Binnenmarkt gewähren. Von solchen Privilegien profitieren etwa manche US-Finanzdienstleister. Allerdings umfassen Äquivalenzregeln weniger Produkte als die EU-Pässe, und die Kommission kann die Begünstigungen jederzeit wieder einkassieren.

© SZ - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: