Der Amri-Untersuchungsausschuss des Bundestags wird womöglich auf einen wichtigen Zeugen verzichten müssen. Der ehemalige V-Mann aus Nordrhein-Westfalen, der sich "Murat Cem" nennt, könne nicht einfach vor dem Ausschuss, der den Anschlag auf dem Berliner Breitscheidplatz aufklären soll, aussagen, teilte das Innenministerium in Düsseldorf den Ausschussmitgliedern jüngst nach Recherchen von WDR und Süddeutscher Zeitung mit. Das sorgt in Berlin für Verwunderung und auch Verärgerung. Denn "Murat Cem" hat sich längst ausführlich öffentlich geäußert, wie er den Attentäter Anis Amri kennenlernte, und sich auch zur Aussage vor dem Ausschuss bereit erklärt.
Der V-Mann soll eine der wichtigsten Quellen der Polizei gewesen sein - eine Art "Allzweckwaffe", wenn man den Ermittlern glaubt. Gegen Geld lieferte er wertvolle Hinweise, die zu Festnahmen von Terrorverdächtigen und zu Anklagen führten. So auch im Fall des Hildesheimer Predigers Abu Walaa, der aktuell wegen Rekrutierung für die Terrormiliz IS in Celle vor Gericht steht. Seine Spitzeltätigkeiten sind längst vorbei, das Gezerre um "Murat Cem" indes aber geht weiter.
Nordrhein-Westfalens Innenministerium besteht nämlich darauf, dass das Leben des Mannes in Gefahr sei, jeder noch so kleine Hinweis auf die Identität oder den Aufenthaltsort könne seinen Tod bedeuten. Noch immer gebe es diverse Mordaufrufe gegen ihn, er gelte unter Islamisten als "vogelfrei" und jeder könne "zu seinem Scharfrichter werden". Wenn überhaupt, sei daher nur eine Befragung in "verdeckter audiovisueller Form" möglich - und selbst dann nur mit verzerrter Stimme und ohne Aufzeichnung.
Unter den Ausschussmitgliedern sorgt das für einige Irritation. Immerhin hat sich "Murat Cem" bereits ausführlich geäußert - und zwar ziemlich öffentlich. Er hat dem Magazin Spiegel detailliert über seine Spitzeldienste berichtet. Sein Leben wurde zur Titelgeschichte. Die Spiegel-Journalisten schrieben sogar ein Buch ("Undercover. Ein V-Mann packt aus.") über ihn. Es gab zudem einen TV-Beitrag, in dem seine Silhouette, seine Hände und Teile seines Gesichts zu sehen waren.
Nordrhein-Westfalens Innenministerium sieht es allerdings trotz der umfassenden Berichterstattung für dringend geboten, den ehemaligen Spitzel weiterhin abzuschirmen. Die Ex-V-Person werde mit "erheblichem personellen und finanziellen Aufwand polizeilich geschützt", heißt es in einem vertraulichen Papier des Ministeriums, "teilweise auch gegen ihre eigene Überzeugung oder Einsicht". Nach Recherchen von WDR und SZ hat der ehemalige V-Mann wohl selbst kein besonders großes Interesse an polizeilichem Schutz - und soll schon im vergangenen Jahr angekündigt haben, öffentlich aussagen zu wollen.