Noch jede politische Heilsmission zieht ideologischen Katzenjammer nach sich. Ist die Luft raus und die Flamme des Aktivismus erloschen, sieht man rückblickend das lodernde Treiben plötzlich wie eine peinliche Ausschweifung. Haben wir uns wirklich so grotesk aufgeführt, so maßlos echauffiert?
US-Soldaten in Bagdad: Robert D. Kaplan lehren die Erfahrungen aus dem Irakkrieg "Realismus".
(Foto: Foto: Reuters)Kein Wunder darum, dass auch der Neokonservativismus nach dem Ende der Bush-Ära seine weltanschauliche Ernüchterung erlebt. Doch auch der Katzenjammer gebiert seine Spukgestalten. Exemplarisch steht dafür Robert D. Kaplans Artikel "The Revenge of Geography" in der letzten Ausgabe von Foreign Policy.
Kaplan, der amerikanische Reporter und Lehrbeauftragte für Sicherheitspolitik, gehörte nie zu den Hardlinern des neokonservativen Blocks, aber doch zu jenen, die große Teile der Welt so wahrnahmen, als ob sie von der US-Armee "zivilisiert" werden müssten wie seinerzeit das "injun country", das Indianerland des 19. Jahrhunderts.
Kurz nach dem 11. September veröffentlichte er das Buch "Warrior Politics: Why Leadership Demands a Pagan Ethos", in dem er dafür warb, dass politische und wirtschaftliche Führung sich von der christlich-jüdischen Moralität ablösen müsse zugunsten einer heidnischen Ethik, in der die Zwecke die Mittel heiligen.
Wenn er jetzt auf die von ihm damals befürwortete Entscheidung zum Irakkrieg ernüchtert zurückschaut, dann nicht deshalb, weil er - wie es im Deutschen so schön heißt - am Morgen danach den "Moralischen" bekommen hätte. Was ihn die Erfahrungen des Irak- und auch des Afghanistankrieges vielmehr lehren, ist "Realismus".
Derselbe Realismus, der unter den Neokonservativen, wie Kaplan selbst berichtet, ein Unwort war, ein Ausdruck von feiger politischer Nachgiebigkeit, gilt nun wieder als "respektabel". Wer ihn noch immer als Fatalismus oder gar Appeasement denunziert, hat nichts dazugelernt.
Nun ist aber "Realismus" oder auch Realpolitik kein politisches Geschäft, das man seinerseits ideologiefrei betreiben könnte. Auf ein politisches Terrain kann man unter verschiedensten Blickwinkeln "realistisch" schauen - im Falle des Iraks etwa auf seine religiöse und ethnische Fragmentierung, auf seine despotische Vorgeschichte, seine Bodenschätze, seine strategische Lage und so fort.
Kaplan entscheidet sich unter all diesen Möglichkeiten für die "geographische" Perspektive. Damit taucht er tief in ein politisches Denken ein, das meist unter der Rubrik "Geopolitik" geführt wird und seine eigene dubiose Tradition hat.
Machiavelli im Weltmaßstab
Beide, der militante Idealismus ebenso wie der geopolitische Realismus, sind global orientiert. Zuvor, unter Bushs Leuten, aber auch unter den intellektuellen Befürwortern des "gerechten Krieges", war es der Imperativ, Freiheit und Demokratie notfalls mit Gewalt über die Welt zu bringen: Kant und Isaiah Berlin mit Feuer und Schwert.
Jetzt ist es das politische Kalkül, wie man den Erdball in "geographisch determinierte" Einflusssphären aufteilen und sich den angemessenen Teil des Kuchens auf Dauer sichern kann: Hobbes, Bismarck und Machiavelli im Weltmaßstab.