Amerika:Nichts im Fluss

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Warum Mexiko den USA Millionen Liter Wasser schuldet.

Von Christoph Gurk

Müsste man den Beziehungsstatus zwischen Mexiko und den USA benennen, träfe es "kompliziert" wohl am besten. Streitpunkte gibt es viele: Im Norden beschwert man sich über Drogen und Migranten aus dem Süden. Dort wiederum werden die Anschuldigungen und Strafzölle aus dem Norden beklagt. Und zu allem Überfluss ist da auch noch die Mauer, die der US-Präsident an der Grenze bauen lässt, wie ein Mahnmal aus Stahl und Beton, das die Entzweiung beider Nationen manifestiert.

Fast unbemerkt von der Öffentlichkeit und allem Streit zum Trotz haben die beiden Länder dennoch über Jahrzehnte hinweg bei einem Thema fast vorbildlich zusammengearbeitet: dem Wasser. Jedes Jahr schicken die Vereinigten Staaten Millionen Liter den Colorado River hinunter über die Grenze. Mexiko speist im Gegenzug Tausende Kubikmeter in den Río Bravo ein.

Das Wasser ermöglicht auf beiden Seiten der Grenze eine blühende Landwirtschaft. Wie viel jede der beiden Nation dabei abgeben muss, regelt ein Vertrag aus dem Jahr 1944. Mexiko kam dabei recht vorteilhaft davon, die Quote des Landes entspricht nur einem Viertel der Menge, welche die USA entrichten muss. Abgerechnet wird dazu nicht jährlich, sondern nur einmal alle fünf Jahre. Nun endet am 24. Oktober mal wieder die Lieferfrist, doch Mexiko hat noch riesige Wasserschulden, rund 300 Millionen Kubikmeter, drei Viertel einer Jahreslieferung.

Die mexikanische Regierung will die Schulden begleichen und die Staudämme dafür noch weiter öffnen. Je mehr Wasser aber gen USA abfließt, desto größer wird der Widerstand im eigenen Land, vor allem im nördlichen Bundesstaat Chihuahua. Zwischen kargen Bergen und trockenen Wüsten gibt es dort fruchtbare Ebenen, auf denen Kühe weiden und Tomaten, Chilis sowie Baumwolle angebaut werden. Die Landwirtschaft wächst und mit ihr der Wasserbedarf. Gleichzeitig häufen sich Dürren. Viele Bauern fürchten, sie könnten die Leidtragenden sein, wenn ihre Regierung die Wasserschulden bei den USA begleicht.

Seit Monaten kommt es zu Protesten, und je näher der Stichtag rückt, desto heftiger eskaliert die Lage. Autos und Zollhäuschen wurden schon in Brand gesteckt, Bahnstrecken blockiert und ein Staudamm besetzt, sogar ein Todesopfer gab es schon. Mexikos Behörden versuchen zu beschwichtigen und beteuern: Es sei genug Wasser für alle da. Und Präsident Andrés Manuel López Obrador macht seine politischen Gegner für die aufgeheizte Stimmung verantwortlich: Sie würden den Streit benutzen, um ihre Popularität zu steigern. Die Schulden müssten bezahlt werden, sagt er, und dass es ein höchst ungünstiger Zeitpunkt für einen Streit mit den USA sei, so kurz vor den Wahlen: "Wir wollen auf keinen Fall, dass das Wasser ein Wahlkampfthema wird."

In Chihuahua dagegen wollen die Menschen weiter kämpfen. Ohne Wasser, sagen sie, verdorren ihre Felder und ohne Arbeit und Essen bliebe ihnen am Ende nur eine Alternative: fortzugehen, in die USA. Das wiederum will man auf beiden Seiten der Grenze auf jeden Fall verhindern. Die Beziehung ist und bleibt also: kompliziert.

© SZ vom 06.10.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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