Algerien:In keiner guten Verfassung

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74 und ein starker Raucher: Algeriens Staatschef Abdelmadjid Tebboune hatte sich in Quarantäne begeben und wurde dann zur medizinischen Behandlung außer Landes gebracht. Ausgerechnet jetzt stimmt die Bevölkerung in einem Referendum über seine Machtbefugnisse ab. (Foto: Toufik Doudou/AP)

Während der Präsident mit Corona-Verdacht ausgeflogen wird, stimmt die Bevölkerung über eine Grundgesetz-Änderung ab, die ihm viel Macht belässt.

Von Moritz Baumstieger, München

Wie überstürzt das Flugzeug am Mittwoch abhob, ist bis heute unbekannt. Welche wichtige Person an Bord war, wissen die Algerier mittlerweile jedoch: Nachdem sich ihr Präsident Abdelmadjid Tebboune am Wochenende vorsorglich in Quarantäne begeben hatte und am Dienstag dann in ein Krankenhaus, war der 74-Jährige schließlich ausgeflogen worden. Das mutmaßlich mit Covid-19 infizierte Staatsoberhaupt habe "medizinische Tests in einem von Deutschlands größten Spezialkrankenhäusern durchlaufen", teilte sein Büro am Freitag mit, ohne eine Corona-Erkrankung zu bestätigen. Mit seinen 74 Jahren und als starker Raucher zählt Tebboune zur Gruppe der Risikopatienten. Das Präsidentenbüro versucht jedoch zu beruhigen. Die Ergebnisse seien ermutigend, Tebboune in einem "stabilem" Zustand.

Während das Staatsoberhaupt im Ausland behandelt wird, soll an diesem Sonntag das Volk über Tebbounes Vision für ein "neues Algerien" abstimmen: Im Januar hatte eine Kommission mit der Überarbeitung der Verfassung begonnen, im September nickte das Parlament die Ergebnisse ab, nun folgt ein Referendum.

Der Präsident hat Vollmachten, die Oppositionelle eher an einen Kaiser erinnern

Dass die überarbeitete Verfassung tatsächlich einen Neuanfang bringt, bezweifeln die Aktivisten der Protestbewegung, die 2019 Dauerpräsident Abdelaziz Bouteflika aus dem Amt trieb. Die Gewaltenteilung soll zwar verstärkt werden, doch noch immer vereinigt der Präsident Vollmachten auf sich, die manchen Oppositionellen an "einen Kaiser" erinnern: Er ernennt Minister und hohe Richter, wählt den Chef des Rechnungshofs aus, den Leiter der Wahlbehörde und der Zentralbank. Die Rolle der Armee bleibt schwammig; welche Befugnisse sie als Hüter der "vitalen und strategischen Interessen des Landes" hat, ist nicht definiert.

Dass es Tebboune und seine Verbündeten nicht ernst meinen mit mehr Demokratie und mehr Bürgerrechten, zeigt nach Ansicht der Protestbewegung schon das Entstehen der neuen Verfassung: Sie wurde hinter verschlossenen Türen entworfen und kaum debattiert. Gegnern wurden wegen der Pandemie jegliche Veranstaltungen untersagt, während nun trotz Corona in Wahllokalen abgestimmt werden soll. Und Algeriens Jugendminister sagte, jeder, der mit Nein stimmen wolle, solle doch "das Land wechseln". Auf seinen im Ausland zur Behandlung weilenden Präsidenten war das sicher nicht gemünzt.

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